Mittlerweile könnte man über die Aktivitäten, die die vier ANTI-FLAG Mitglieder neben ihrer Band wahrnehmen, seitenweise Artikel schreiben. Neben mitlitaryfreezone.org betreibt die Band auch die politische Website undergroundactionalliance.org, Justin Sane hat unlängst zwei Soloveröffentlichungen gemacht und Chris#2 hat seine Finger auch bei Aufnahmen der Band WHATEVER IT TAKES im Spiel gehabt. Darüber hinaus betreiben ANTI-FLAG mit A-F Records ein eigenes und feines Label, auf dem mit Releases von RED LIGHTS FLASH, THE UNSEEN, THE CODE, THOUGHT RIOT, THE VACANCY, den beiden Alben der leider verblichenen PIPEDOWN und weiteren Künstlern bisher einige tolle Platten erschienen. Einen typischen A-F Records-Labelsound sucht man aber vergebens, die Bands, die auf AF-Records veröffentlichen klingen zu unterschiedlich, als dass man daraus einen Gesamtsound des Labels ableiten könnte. THE VACANCY sind sehr Rock-beeinflusst, während RED LIGHTS FLASH als erstes europäisches A-F-Signing tollen Hardcore-Punkrock spielen. Die Soloalben von Justin Sane hingegen sind sehr ruhige Platten. 2004 eröffnete ein A-F-Europabüro, was dazu führte, dass auch die hiesige Öffentlichkeit nach und nach auf A-F Records aufmerksam wurde. Die Europa-Tour von ANTI-FLAG im Januar stellte daher einen schönen Anlass dar, um Pat Thetic, Chris#2 und Justin Sane einmal zu ihrem Label zu befragen.
Pat, gib doch eine kurze Einführung in die Geschichte von AF-Records.
Pat: Alles begann damit, dass wir eine Split von ANTI-FLAG und der kanadischen Band DVS selber herausbrachten. Mit der Zeit sammelten wir ein wenig Know-how in der Labelarbeit und entwickelten die Idee, Platten anderer Bands herauszubringen. Ziemlich schnell waren wir dann mit THE UNSEEN in Kontakt, brachten zwei Alben von ihnen raus und nahmen im Zeitablauf nach und nach weitere Bands unter Vertrag. So ist A-F Records nach und nach gewachsen.
Inwiefern seid ihr vier ANTI-FLAG-Mitglieder noch im täglichen Geschäft von A-F Records tätig?
Pat: 2005 haben wir nicht sehr viel für bzw. bei A-F Records getan, weil wir an "For Blood And Empire" arbeiteten. Davor waren wir alle stark in das Alltagsgeschehen des Labels integriert. Momentan treffen wir die wesentlichen Entscheidungen und stehen bei Fragen mit Rat und Tat zur Verfügung. Du siehst, die eigentlichen Tätigkeiten nehmen mittlerweile Labelangestellte für uns wahr.
Chris#2: Die Leute, die bei A-F Records arbeiten, wissen mittlerweile genauso viel wie wir darüber, wie man ein Album veröffentlicht, wenn nicht sogar mehr. Daher ist A-F Records mittlerweile nicht mehr nur unser Label, sondern eher ein Kollektiv, weil wir eben viele Entscheidungen gemeinsam mit den Labelangestellten treffen. Der einzige Punkt, in dem wir das letzte Wort haben, ist das Signen von neuen Bands. Und das ist so, weil ANTI-FLAG das Label finanziert.
Verfolgt ihr denn eine spezielle Signing-Politik?
Pat: Nur die, dass wir eine Band mögen müssen. Wenn einer von uns eine Band vorschlägt, dann muss er die anderen von der Band überzeugen.
Chris#2: Es spielt keine Rolle, ob eine Band aus der Punkrock-Szene kommt oder gar ähnlich wie ANTI-FLAG klingt, um bei A-F Records gesignt zu werden. Zwar würden sich die A-F-Releases dann vielleicht besser verkaufen, das ist aber nicht das Ziel des Labels. Die Freude, die wir an der Musik von Bands wie TABULA RASA, THE VACANCY oder INTRO5PECT haben, motiviert uns, Platten dieser Bands herauszubringen. Und weil die Musik vieler A-F-Bands sich vom ANTI-FLAG-Sound unterscheidet, würde ich auch nicht sagen, dass unser Bandname den A-F-Künstlern dazu verhilft, wie von alleine bekannt zu werden, nur weil sie auf A-F Records sind. Vielmehr legen wir die Aufgabe, als Band zu wachsen und sich zu entwickeln, in die Hände unserer Künstler.
Mark von THE UNSEEN bezeichnete A-F Records als das Label, das seiner Band half, zu dem Level zu gelangen, wo THE UNSEEN bei einem größeren Indie wie Hellcat unterschreiben konnten. Seht ihr A-F Records als ein Label, das jungen Bands primär Starthilfe gibt?
Pat: Der Werdegang von THE UNSEEN zeigt sehr gut, wie sich eine Band mit unserer Hilfe entwickeln kann. Sie sind aufgrund ihrer eigenen Antriebskraft gewachsen und waren schließlich an einem Punkt angelangt, ab dem A-F nichts mehr für sie tun konnte, weil sie zu groß waren. Kurzum, ja, A-F Records erfüllt diese Starthilfe-Funktion.
Justin: Das sehe ich ähnlich. Wir sind kein großes Indielabel und können aufgrund unserer limitierten Ressourcen unsere Bands nicht auf große Touren einkaufen und für sie auch keine teuren Anzeigen buchen. Uns geht es darum, dass wir mit Musikern arbeiten wollen, die ehrlich die Musik lieben. Sollte es dazu kommen, dass eine Band, die bei A-F Records unter Vertrag steht, von ihren Plattenverkäufen und Touren leben kann, dann freut mich das. Denn dann zeigt es, dass die Eigenenergie der Band und unsere Starthilfe gut ineinander gegriffen haben und wir durch unsere Labelarbeit eine Band vielleicht auch davor bewahrt haben, in die Fallen zu tappen, in die wir mit ANTI-FLAG getappt sind. Weiterhin hilft auch die von uns gegründete Agentur Covert Booking dabei, dass A-F-Bands auf Tour gehen und sich einen Namen erspielen können.
Wie kam es in 2005 dazu, dass ihr das erste und einzige Album von INQUISITION, "Revolution, I Think It's Called Inspiration", herausgebracht habt?
Justin: "Revolution ..." hat ANTI-FLAG in vielerlei Hinsicht beeinflusst und wenn du es dir genau anhörst, dann hörst du auch, dass wir viel von INQUSITION übernommen haben.
Chris#2: Wir haben sie leider nie live gesehen, für die heutige Szene sind sie aber sehr relevant, nicht zuletzt, weil heutige Mitglieder von STRIKE ANYWHERE, RIVER CITY HIGH und ANN BERETTA bei INQUISTION gespielt haben. Aufgrund der Relevanz der Band und unserer Liebe für ihre Musik haben wir die Platte neu aufgelegt.
Wie ging es euch, als PIPEDOWN sich auflösten? Ich hatte damals das Gefühl, dass A-F die größte Band - ausgenommen ANTI-FLAG - verloren hatte.
Justin: Ja, das stimmt. PIPEDOWN waren ein Hoffnungsträger von A-F und wir alle sind traurig, dass es sie nicht mehr gibt. Ich fürchte, dass sie sehr damit zu kämpfen hatten, dass sie ständig touren mussten, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Zudem sind die Lebenshaltungskosten in Kalifornien, wo sie alle wohnen, viel höher als in anderen US-Städten. Am Ende war es für sie, glaube ich, einfach kein Spaß mehr.
Welche Hoffnungen steckt ihr in das 2004 eröffnete Europabüro von AF-Records?
Chris#2: "Ich denke, dass für A-F in Europa mit bestehender Labelpolitik definitiv noch Wachstumspotenzial besteht. Deswegen stecken wir große Hoffnungen in das Europabüro, das von Sascha, einem wirklich guten Freund der Band gemacht wird. Zudem bin ich zuversichtlich, dass wir auch in Europa einige gute Bands finden werden, die wir signen können. Bis jetzt ist mit RED LIGHTS FLASH ja nur eine europäische Band auf A-F Records.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und Lauri Wessel