Meine erste selbst gekaufte LP war 1980 „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ von DEAD KENNEDYS. Ein Jahr später kam die EP „In God We Trust“, größtenteils mit Songs, die schon früher entstanden waren. Ein Minialbum als Meilenstein im Rahmen von Punkrock. Mit dem neuen, afroamerikanischen Schlagzeuger D.H. Peligro werden gleich zwei Zeichen gesetzt: Antirassismus und Hochgeschwindigkeit. Außerdem war da die Sache mit der Religion. Der gekreuzigte Jesus auf einem Dollarschein hätte Diskussionen mit meinem Vater heraufbeschworen, die es zu vermeiden galt. So ganz wohl fühlte ich mich aufgrund meiner zwar lockeren, aber christlichen Erziehung nicht mit diesem Artwork von Winston Smith. Auch nicht mit „Religious vomit“. „Alle Religionen bringen mich zum Erbrechen und machen mich krank.“ Das ist schon harter Tobak. Der Text stammt aber nicht aus Jello Biafras Feder, sondern vom früheren Gitarristen Carlos Cadona aka 6025. Ein Statement, das für viele das Thema Religion und Punk bis heute auf zwei unvereinbare Stufen gesetzt hat. Etwas feiner definiert es „Moral majority“, bei dessen Opening Biafra zunächst den Prediger gibt, bevor dann mit einem Paukenschlag ein Potpourri an Heuchelei zerschlagen wird. Mit einer sehr provokanten Textzeile, die sich auf Anita Bryant bezieht, die sich durch Kampagnen gegen Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben hervorgetan hat. „Hyperactive child“ ist fast noch schneller und erneut eine gesellschaftliche Anklage, diesmal wie man mit unliebsamen, nicht konformen Kindern umgeht. „Kepone factory“ thematisiert die Auswirkung von Insektiziden und die damit verbundene Korruption. Der bis dahin primitive Sound verbessert sich und auch Biafras Gesang kommt seinem typischen Stil näher. Gerüchten zu Folge waren die Masterbänder der eigentlichen Aufnahmen nicht brauchbar, woraufhin das Album erneut live im Studio eingespielt worden sein soll. Der qualitative Unterschied zwischen den ersten drei Stücken und den folgenden fünf lässt mich jedoch daran zweifeln. „Dog bite“ beendet die erste Seite. Die Flipside startet mit „Nazi punks fuck off“, das Diskussionen in der frühen Szene auslöste und ebenfalls in definitorischer Hinsicht Punk bis heute bestimmt. „We’ve got a bigger problem now“, die Neuauflage von „California über alles“, malt ein düsteres, Orwell-haftes Bild der kommenden Jahre, unter dem gerade vereidigten 40. US-Präsidenten Reagan, dessen Ära letztendlich den kommenden US-Hardcore prägen sollte, für den mit diesem Album der Grundstein gelegt wurde. Mit „Rawhide“, dem Titelsong der gleichnamigen US-Westernserie, endet das Album und schlägt damit eine Brücke zu „Fresh Fruit ...“, das mit dem Elvis Hit „Viva Las Vegas“ beendet wurde.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #154 Februar/März 2021 und Claus Wittwer