4 PROMILLE

Foto© by Tobias Witte

Unkaputtbar

Die 1997 gegründeten 4 PROMILLE aus Düsseldorf gehören zum alten Oi!- und Punk’n’Roll-Adel des Landes und mussten trotz großer Szene-Bekanntheit und Supportshows in großen Hallen – etwa für die jüngeren und ausgewiesenen 4 PROMILLE-Fans BROILERS – schon etliche bange Momente eines Bandlebens überstehen: Sänger weg (Volker Grüner). Schlagzeuger #1 weg (Ziad Moughrabis). Schlagzeuger #2 weg (Sascha Gase). Sängerin weg (Melly). Zuletzt lag dann auch das bislang letzte Album schon zehn Jahre zurück. Kurzum: Für Außenstehende war es trotz seltener, aber durchaus regelmäßiger Konzerte nicht klar, wie und ob es überhaupt weitergehen würde. Jetzt sind diese Zweifel jedoch ausgeräumt: Die Band hat mit Jason einen neuen Schlagzeuger und nun mit „Wir sind bereit“ auch ein neues Album eingespielt, mit dem womöglich gar nicht mehr zu rechnen gewesen war. Und sie klingen darauf so wüst, schnell und punkig, wie lange nicht mehr. Sänger und Gitarrist Thomas „Pommes“ Müller erklärt im Interview, wie es dazu kam.

Pommes, euer neues Album klingt auffällig laut, schnell und wüst. Der Vorgänger „Vinyl“ war dagegen ja fast schon ...

... poppig!

So kann man das sagen.
Ja. Wir wollten es dieses Mal auf jeden Fall ohne Schnörkel und so richtig rauh haben – was gar nicht so einfach ist bei der heutigen Aufnahmetechnik, die in jedem Studio zur Verfügung steht. Es ist da gar nicht so leicht, da Sachen richtig dreckig hinzukriegen. Ich denke aber, dass uns das trotzdem gut gelungen ist. Die Platte ist sehr druckvoll und unterscheidet sich dadurch schon ordentlich vom Vorgänger „Vinyl“.

„Zeitgeist“ ist ein Song, der mir sofort aufgefallen ist. Er steht ein wenig stellvertretend für das Album. In ihm geht es viel um Nostalgie, seit jeher ein typisches Topos nicht zuletzt im Oi!-Punkrock, wie ihr ihn macht. Das Motto: Früher war alles besser. Wobei man gleichzeitig gar nicht weiß, ob das wirklich stimmt, ob da nicht viel Verklärung dabei ist – was ihr auch mit einem tröstlichen Augenzwinkern aufgreift.
Dieser Text spricht mir total aus der Seele. Der hat ja nicht nur etwas mit Musik zu tun, sondern mit all dem, was in und um die Band geschehen ist. Vielleicht ist es einfach eine Sache des Alters und des Alterns, dass man immer öfter zurückblickt. Ich gebe zu: Am Anfang war der Text ein bisschen negativer. So in der Art: Alles ist irgendwie scheiße. Aber ich habe dann gesagt: Nee, so möchte ich eigentlich gar nicht sein. Und dann haben wir das entsprechend angepasst.

Bist du denn ein Nostalgiker?
Sagen wir so: Klar darf man zurückblicken, weil Erinnerungen normal sind. Die gibt es nun mal. Und ich finde, die haben wir uns auch verdient. Daran darf man sich auch bedienen, wenn man Lust dazu hat. Aber man sollte immer offen bleiben für Neues und mit der Zeit gehen und sich nicht immer nur einreden, dass es jetzt viel schlechter ist und früher alles besser war. Denn machen wir uns nichts vor, früher gab es auch viel Mist – wir haben es nur eben nicht so mitbekommen. Klar, das, was wir jetzt durch Social Media oder die Medien mitbekommen, sagt: Wir durchlaufen gerade alle eine harte Zeit. Du machst den Fernseher an und überall wird von Krieg berichtet und von Messerstechereien in der Stadt. Es ist rauher geworden. Aber es gibt auch viel Schönes. Und auch dafür muss man eben irgendwie offen bleiben und sich nicht immer nur einreden, dass alles schlimm ist. Und genau deswegen habe ich beim Text noch mal Hand angelegt und das Lied versöhnlich enden lassen. Man sitzt dann doch mal mit seinen Kumpels zusammen beim Bierchen – oder Tee, haha – oder macht Urlaub.

Was war früher für dich und 4 PROMILLE tatsächlich besser als heute?
Früher war alles einfacher. Wir haben uns nicht so viel Gedanken gemacht. Wir haben einfach gespielt, wo wir spielen konnten. Wir haben uns keine Sorgen um Werbung gemacht, um Plattenproduktionen, um die Qualität unserer Platten. Früher waren wir vielmehr froh, wenn uns irgendein Label mal irgendwie zwei Tage im Studio geschenkt hat, und wir haben alles ausprobieren können. Es war unbefangener, ungezwungener. Heutzutage, im Laufe der Zeit, sprechen wir zwar immer noch von 4 PROMILLE als einer Hobby-Band. Aber es ist eine Hobby-Band, die durchaus einen gewissen Zuschauerradius hat. Und das bedeutet natürlich auch immer ein bisschen Verantwortung für uns. Ich meine, die Leute geben letztendlich Geld für dich aus. Sie kaufen deine Platten. Sie wollen dich live sehen. Und das erzeugt Pflichten. Dann bist du eben auch gezwungen, ein paar mal häufiger in den Proberaum zu gehen, wenn Konzerte anstehen – damit du später auf der Bühne auch vernünftig ablieferst. Und diesen Druck hatten wir früher halt nicht. Wenn ich zurückdenke ... Wenn wir damals auf die Bühne gegangen sind, dann haben wir vorher ordentlich getrunken und wollten dann schnell spielen, um weiter feiern zu können. Und das könnten wir uns heute nicht mehr erlauben. So was könnten wir nicht mehr verantworten. Ich kann nicht fast 30 Euro für eine Eintrittskarte verlangen – und dann besoffen auf die Bühne gehen und jedes zweite Lied verkacken. Das geht einfach nicht. Zudem ist es heutzutage unser eigener Anspruch als Musiker, alles vernünftig über die Bühne zu bringen. Ein Anspruch, den es vor zwanzig Jahren überhaupt nicht gab.

Dann kehren wir die Frage mal um: Was ist heute besser – abgesehen davon, dass ihr die Instrumente natürlich besser beherrscht ...
Das kommt immer darauf an, unter welchen Gesichtspunkten man es sieht ...

Nämlich?
Wenn man als Band seine Reichweite vergrößern will, hat man heute natürlich viel mehr Möglichkeiten. Klar, wenn man diesen Anspruch nicht hat, kann man es auch sein lassen und weiter in kleinen 50-Leute-Clubs spielen. Aber wir wollen schon so viele Menschen wie möglich erreichen. Wobei dieser Aspekt – Social Media – dich auf der anderen Seite natürlich auch viel angreifbarer macht. Du bist transparenter. Das kennen wir ja alle. Das ist Fluch und Segen zugleich.Was zudem – und abseits davon – für mich persönlich schöner und besser ist als früher: Wenn man sich zusammenreißt und nüchtern ein Konzert erlebt, dann erlebt man es eben auch wirklich, also man kann sich hinterher noch daran erinnern und hat alles intensiv mitbekommen. Und das ist eine völlig neue Erfahrung für mich seit ein paar Jahren. Da kannst du dich auch noch Monate später an jede Kleinigkeit erinnern. Das habe ich früher überhaupt nicht so gesehen. Da habe ich eigentlich immer zugesehen, dass ich möglichst viel auf dem Kessel habe, bevor ich auf die Bühne gehe ... Mittlerweile machen Konzerte daher auch wirklich richtig Spaß. Was ich seit ein paar Jahren erlebe, ist sogar, dass ich mich wirklich, wirklich ärgere, dass ich früher so viel verpasst habe. Es ist schlichtweg eine ganz andere Nummer, so komplett alles von vorne bis hinten mitzubekommen. Zudem spielt man ja auch viel besser, wenn man sich etwas professioneller verhält. Ich sehe mir dann hinterher Aufnahmen von unseren Auftritten an und denke mir: Das ist tatsächlich gar nicht schlecht gewesen.

Gibt es ein bestimmtes Konzert, einen bestimmten Moment, in dem dir aufgefallen ist: Okay, das ist besser als früher. Ich bekomme hier gerade alles mit und kann das richtig genießen. Dieser neue „Zeitgeist“ – um mal beim neuen Album zu bleiben – ist wirklich gut.
Ein spezielles Konzert nicht. Wir hatten früher generell Konzerte, bei denen wir wirklich gemerkt haben: Wir sind einfach nicht in der Lage, richtig zu spielen – und die Leute fanden es trotzdem gut. Und angesichts dessen haben wir selber irgendwann die Reißleine gezogen und gesagt: Das kann ja nicht sein. Ich selbst habe mir beispielsweise irgendwann vorgenommen: Du trinkst jetzt nicht mehr, wenn du auftrittst. Das hat mich anfangs noch ziemlich Überwindung gekostet – auch weil das Lampenfieber dadurch noch stärker durchkam. Aber das war dann auch eine supergeile Erfahrung!

Du sprichst selber von euch als Hobby-Band. Ihr spielt nicht häufig und auch keine ausgedehnten Touren. Und doch habt ihr diesen quasi-professionellen Anspruch. Euch gibt es, mit Unterbrechung, seit 27 Jahren. Und jetzt habt ihr, ich erwähnte es bereits, nach zehn Jahren wieder ein Album aufgenommen. Das ist eine lange Zeit. Man kann konstatieren: 4 PROMILLE sind unverwüstlich. Was macht euch so unverwüstlich?
Wir haben das Glück, dass bei uns Menschen aufeinander getroffen sind, die es gut miteinander aushalten. Was natürlich nicht bedeutet, dass immer alles eitel Sonnenschein ist. Es knallt auch immer wieder mal. Immerhin knallen bei uns mittlerweile vier starke Egos aufeinander. Wir versuchen zwar immer, eine Demokratie einzuhalten, aber das ist manchmal wirklich ein harter Kampf. Jeder hat so seine Eigenarten, jeder hat seinen Kopf. Aber das ist eben manchmal auch genau das, was man braucht und was die Musik ausmacht.Wir alle haben zum Beispiel einen unterschiedlichen Musikgeschmack. Aber beim Songschreiben und beim Entwickeln von Songs vermischt sich das alles irgendwie – und am Ende kommt immer etwas Gutes dabei heraus. Wir haben jedenfalls unheimlichen Spaß daran zusammenzuspielen und ich denke, jedem von uns würde das unheimlich fehlen, sollte es die Band nicht mehr geben. Wobei die neue Platte wirklich auf gewisse Weise etwas kurios entstanden ist.

Im Sinne von ...?
Also, uns ist immer klar gewesen, dass wir keine Band sein wollen, die nur mit den alten Hits über die Dörfer zieht. Die sich alle zwei Wochen auf eine Bühne stellt, die Kohle kassiert – und immer nur das Gleiche spielt. Nein, wir wollten immer neue Sachen machen, immer neue Platten aufnehmen. Und wir haben an „Wir sind bereit“ wirklich über die gesamten letzten zehn Jahre gearbeitet. Seit „Vinyl“. Aber immer kam irgendwie was dazwischen. Zuerst ist unser Drummer Ziad gegangen und wir mussten uns einen neuen Schlagzeuger suchen. Und als wir den in Sascha gefunden hatten, musste er sich natürlich erst einmal die alten Lieder irgendwie draufschaffen. Und allein das hat schon unheimlich viel Zeit in Anspruch genommen. Dann hatten wir ein paar neue Songs fertig, die er auch spielen wollte – aber wir haben alle gemerkt, dass die nicht so sein Ding waren. Also haben wir die Songs noch mal auseinandergenommen und überarbeitet und gemerkt: Da sind keine richtigen Hits dabei. Weshalb sie erst mal wieder in der Schublade landeten. Gleichzeitig aber kamen Konzertangebote rein. Die nahmen wir an und sagten uns: Kommt, wir lassen das jetzt erst mal mit den neuen Liedern, wir haben ja jetzt bald diese Gigs. Und bei denen setzen wir dann lieber mal auf den alten Kram. Und diese Situation wiederholte sich immer und immer wieder. Und ebenso immer und immer wieder hat sich das mit dem neuen Album verschoben. Und irgendwann fehlte uns komplett die Motivation. Wir sind einfach nicht mehr weitergekommen. Wir steckten in einem kreativen Loch und hatten uns irgendwie damit abgefunden: Wir sind jetzt anscheinend doch die Band, die einfach nur noch die alten Sachen spielt und sich gar nicht mehr groß um Neues kümmert. Es hat logischerweise immer mal wieder auch bei uns gerappelt. Dann ist Sascha wieder ausgestiegen, weil er unzufrieden war und ihm die Sache keinen wirklichen Spaß mehr machte. Jason kam dazu, als Nächstes ging Melly, unsere Sängerin. Und nachdem wir das alles erlebt und verarbeitet hatten, haben wir uns geschüttelt und gesagt: Leute, kommt! Was machen wir jetzt? Wir sind jetzt noch vier Leute. Lasst uns verdammt noch mal die Kurve kriegen und eine neue Platte machen. Auch mit den Texten und den neuen Ideen von Jason. Wir haben alles zusammengeschmissen – und auf einmal hatten wir innerhalb von ein paar Monaten das Album zusammen. Wir haben die Songs im Proberaum aufgenommen und gemerkt, das ist alles gar nicht so schlecht! Aber was schließlich im Studio daraus entstanden ist, hätte niemand von uns erwartet. Das war noch mal eine Steigerung. Das war wirklich krass. Wobei da wirklich kaum etwas von dem dabei ist, was wir in den letzten Jahren so ausgearbeitet hatten. „Wir sind bereit“ besteht nahezu komplett aus neuen Sachen.

Also hätte es die neue Platte in der alten Besetzung niemals gegeben?
Nein. In dieser Form mit Sicherheit nicht.

War es eine Art Gesundschrumpfen der Band?
Eher ein Sich-neu-Sortieren. Und das war wichtig. Wir waren komplett festgefahren, irgendwie in einem Loch, in dem kein Platz mehr war für Kreativität, Motivation und Energie. All das hat sich mit den Ausstiegen aber wieder gegeben – weil wir uns danach zusammengesetzt und uns gesagt haben: Leute, war’s das jetzt? Oder geben wir noch mal Gas? Wir haben uns fürs Gasgeben entschieden. Es ist jetzt zwar kein neues Zeitalter angebrochen, denn wir waren ja nie weg. Aber ich muss sagen, die Stimmung innerhalb der Band ist wirklich super! Wir motivieren uns gegenseitig. Und wenn der eine mal keine Lust hat, dann wird er von den anderen mitgetragen. Es passt super! Und das Album ist wahrscheinlich auch deshalb so wuchtig, weil sich so viel Druck angesammelt hat. Der ist jetzt raus.

Was gab denn bei Melly den Ausschlag für den Ausstieg?
Letztendlich ist sie aus persönlichen Gründen ausgestiegen und sie hat damals ja auch ein Statement dazu abgegeben.

Darin sagte sie 2022: „Gründe dafür gibt es ganz viele – aber der wichtigste Punkt ist, dass ich einfach fühle, dass es jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, um diesen schweren Schritt zu gehen.“
Genau. Und mehr kann man dazu nicht sagen. Aber es gab keine großen Streitereien oder so. Sie hat einfach nicht mehr so viel Perspektive gesehen und dann beschlossen, das mit der Band aufzugeben. Sie hat sich neulich noch gemeldet und uns gesagt, dass ihr unsere neue Single „Bereit“ sehr gut gefällt und dass sie wahrscheinlich auch zu unserem Konzert in Düsseldorf kommen und uns im Proberaum besuchen will. Das hört sich ja nicht so an, als wenn da großer Groll herrschen würde. Nein, im Gegenteil, ich freue mich, dass das so ist und finde es schön, wenn sie vorbeikommt.

Dann lass uns noch mal kurz auf einen der neuen Songs zu sprechen kommen: „2 Minuten“. Darin geht es darum, dass ein Lied Leben retten kann. Beziehungsweise dass einem ein Lied die letzten zwei Minuten vor der Apokalypse noch einmal verschönern, dass es einen trösten kann. Kann ein Song das leisten?
Ja, definitiv! Musik hilft immer. Zumindest hat Musik mir immer geholfen. Ich habe schon diverse schwierige Lebenslagen gehabt – und wenn gar nichts mehr ging, habe ich mir halt immer die richtigen Songs angemacht. Das treibt einen manchmal zwar noch weiter in die Trauer rein, aber dann muss das auch so sein. Es gibt Momente, in denen ich hemmungslos heulen und traurig sein will. Und für die brauche ich Musik. Und es gibt Musik, die dich aus jedem Loch irgendwie wieder rausholen kann und die dich später, wenn du sie wieder hörst, immer an eine prägende Phase in deinem Leben erinnert. Wir bekommen übrigens auch häufig Mails oder andere Nachrichten geschickt, in denen Menschen uns sagen: Vielen Dank an eure Band! Ihr habt mir dann und dann so sehr geholfen. Und immer, wenn es mir in der Vergangenheit einmal schlecht ging, habe ich mich auf unseren Probetag gefreut. Weil ich da dann selber Musik machen konnte. Insofern noch mal: Ja, ich glaube fest daran, dass Musik hilft. Musik machen und Musik hören. Und als wir zuletzt nach stundenlanger Fahrt beim Spirit-Festival gespielt haben ... Ich sag’s mal so: Es ist einfach ein unschlagbares Bild, wenn du da auf der Bühne stehst und du singst und siehst, dass da unten vor dir Leute jedes Wort mitsingen – auch bei den neuen Stücken. In diesem Moment spätestens ist mir wieder eingefallen, warum ich den ganzen Scheiß hier mache, haha.

Und welchen Song würdest du auflegen, wenn du wüsstest, die Welt geht in zwei Minuten unter?
Wenn ich mich jetzt so spontan entscheiden muss, dann würde ich noch einmal den Hochzeitssong von meiner Frau und mir hören wollen: „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ von SELIG.