Yyp – Yyp – Yyp – Yyp – der Sekundenzeiger einer Uhr im Maschinenraum eines gigantischen Raumschiffs – Yyp – Yyp – Yyp – es zischt und dröhnt im Hintergrund – Yyp – Yyp – bis eine Computerstimme verkündet: We are connected. Noch vier Einzähler Yyp – Yyp – Yyp – Yyp – und ein Gewitter bricht los. Es ist 1987. Mit ihrem dritten Album „Killing Technology“ erschaffen die vier Franko-Kanadier VOIVOD einen Monolithen. Zwar haben sich die Punk- und die Metal-Szene seit Mitte der Achtziger einander angenähert und man ist schon einiges gewohnt, VOIVOD bleiben trotzdem krasse Außenseiter. Denn es ist verdammt schwer, sich mit ihrer Musik anzufreunden, und auch diese Scheibe verlangt dem aufgeschlossenen Hörer eine Menge Arbeit ab. In erster Linie ist es brachial, mit enormer Intensität und Wucht, aber alles so wirr und durcheinander. Komplizierte Tonfolgen mit dissonanten Akkorden, ständige Tempo- und Rhythmuswechsel und ein Gesang, der sich mit seiner Phrasierung und Metrik seine eigenen Gesetze innerhalb der komplexen Strukturen schafft. Das Ganze klingt dabei nie prog-artifiziell. Wenn mal ein Gitarrensolo kommt, ist die gute, alte Fast Eddie Clarke-Schule zu erkennen.
Das ist keine Musik für feucht-fröhliche Punkerpartys, hier muss man hinhören. Und noch mal hinhören. Und noch mal. Irgendwann hat man dann die völlig unvorhersehbaren Songstrukturen einigermaßen durchschaut – und jetzt fängt der Spaß an! Jetzt kann man sich auch den dystopischen SciFi-Texten widmen, vorgetragen mit einem deutlichen franko-kanadischen Akzent. In ihnen geht es um Technologie, die uns killt, Wirbelstürme, Überwachung, Reaktorkatastrophen (Tschernobyl ist Ende 1986 erst ein halbes Jahr her und der radioaktive Fallout zieht immer noch um die Welt) sowie menschenverachtende Mediziner. Prophetisch. Produziert im Winter 1986 in West-Berlin, sieht man auf der Coverrückseite vier Langhaarige vor der intakten Berliner Mauer. So sehen damals all meine Freunde aus, und so werde ich Fan. „Killing Technology“ ist der Schlüssel zum Gesamtwerk der Kanadier. Hat man diese Platte verstanden, kann man in aller Ruhe den Rest ihres Œuvres durchhören. Davor und danach sind VOIVOD krachiger, melodiöser, brutaler, sanfter, komplexer, verzweifelter, neu geboren, ausgefeilter, jedoch nie beliebig. Sie sind immer noch die krassen Außenseiter, allerdings mit einer beinharten Fanbase. Wer kann, sollte diese Band live sehen. Mit etwas Glück trifft man einen der vier draußen vor der Tür. Dann sagt doch einfach mal Bonjour.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #161 April/Mai 2022 und Chrisz Meier