Um es vorweg zu nehmen: Über den musikalischen Wert des ersten Albums der mittlerweile legendären NOFX muss an dieser Stelle nicht geredet werden. Denn „Liberal Animation“ hat mit dem heute weltweit bekannten Sound der Kalifornier so gar nichts gemein. Fat Mike betonte in der Vergangenheit öfter, dass er die Band gegründet hatte mit dem Ziel, so zu klingen wie seine absoluten Vorbilder BAD RELIGION. Dies ist NOFX damals, fünf Jahre nach ihrer Gründung 1983, definitiv nicht gelungen. Denn durchweg jeder Song ist unausgereift und pendelt irgendwo zwischen schlechtem Achtziger-Hardcore und prototypischem Skatepunk. Zudem wurden musikalische Anleihen anderer Bands dreist kopiert, so etwa ein Gitarrenpart im Opener „Shut up already“, der von LED ZEPPELIN stammt. Überhaupt macht sich auf dem Album noch der Metal-Einfluss des damaligen Gitarristen Dave Casillas bemerkbar, so etwa bei „No problems“. Trotz all dieser Mängel war eine Verbesserung gegenüber ihrem ersten Release auf Mystic Records zu verzeichnen. Auch Brett Gurewitz erkannte offensichtlich das Potenzial der Band und veröffentlichte 1991 eine Neuauflage von „Liberal Animation“ auf seinem Label Epitaph. Letztlich war das Album vor allem ein erster Wegweiser für die glorreiche Zukunft des Quartetts aus Los Angeles. Schon im Albumtitel wird Fat Mikes Vorliebe für Wortspiele erkennbar. In den folgenden 35 Jahren sollte er dies zur Perfektion bringen. Auch bei den Texten zeigt sich hier bereits Fat Mikes Hang zum Zuspitzen und Provozieren. Dies aber immer mit seiner ganz persönlichen Art von Humor. Damit allerdings kommen viele bis heute nicht wirklich klar; ich jedoch sehr gut – auch damals schon. In jedem Fall war „Liberal Animation“ ein wirklicher Türöffner für NOFX. Dies bewiesen die Kalifornier dann auch mit dem Nachfolger „S&M Airlines“ aus dem Jahr 1989, der schon deutlich melodischer und ausgefeilter daherkam. Und spätestens mit „Ribbed“ von 1991 hatten NOFX endgültig ihren eigenen Sound gefunden und sich damit in der Punkrock-Szene Kaliforniens und darüber hinaus fest etabliert. Diesem Stil blieben sie auch bis heute konsequent treu. Jedoch nie in der Weise wie RANCID oder PENNYWISE, die seit ihrer Gründung eigentlich immer dasselbe Album nur mit anderem Titel rausbringen. Dank dieser Prinzipientreue, ihrer Live-Präsenz, dem eigenwilligen Humor und der gekonnten Varianz ihres Sounds sind NOFX in den letzten vierzig Jahren zu einer der erfolgreichsten und größten Punkrock-Bands überhaupt geworden. Wenn sie auf dem Niveau von „Liberal Animation“ stehengeblieben wären, hätten sie das sicherlich nicht geschafft. Gleichwohl hat Fat Mike vor einer Weile die bevorstehende Auflösung seiner Band angekündigt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und André Hertel