Die BRD in den späten 1980er Jahren. Punkrock war schon längst nicht mehr Herr im Lande, wie die Hamburger Punkband BUTTOCKS noch zu Anfang des Jahrzehnts lauthals verkündet hatte. Stattdessen regierte seit der Mitte der 1980er Jahre in den unabhängigen Zentren der Hardcore-Sound aus den USA. Denn viele – und nicht nur die jungen – Punks fanden Hardcore spannender. Doch vereinzelt formierten sich Bands, die noch dem alten deutschen Punk frönten und ihn weiterentwickelten, wie auch MOLOTOW SODA, die sich 1986 in Bonn fanden. Die Band um Ex-CANAL-TERROR-Sänger Tommy gründete sich eigentlich nur, um einen Track für den Sampler „Kulturschock Attacke Vol. 2“ aufzunehmen. Doch dann ging es weiter und 1989 veröffentlichten MOLOTOW SODA ihr Debütalbum „Keine Träume“. Die Bonner spielten deutschsprachigen Pogo-Punk mit leichtem Hardcore-Einschlag und einer großen Themenvielfalt. Politische Texte wie „Geld“ standen wie schon bei CANAL-TERROR – ohne dass MOLOTOW SODA jetzt eine Nachfolge-Band wären! – neben reinen Fun-Nummern wie „Hobby Bobby“. Nach dem Intro, die Abwandlung eines gregorianischen Chorgesanges – die humanistische Bildung lässt grüßen –, gibt es mit „Wasserleichen“ den ersten Hit. Astreiner Pogo-Punk, melodisch und trotzdem hart, kritisiert der Song die zunehmende Umweltverschmutzung durch die Großkonzerne, die natürlich mit staatlichem Segen stattfindet. Der nächste Song, „Julia“, ist ein Midtempo-Track und thematisiert toxische Cis-Männlichkeit, sexuelle Übergriffe und die Gefahr durch Aids. „Neulich in der Prärie“ ist eine Country-Verarsche und „Are you ready for Freddy“ eine Hommage an Freddy Krueger und das Horrorfilm-Genre. „Maßlos“, wieder ein Midtempo-Song, beschreibt eine Orgie der „Politikerkaste“, die von einer Horde von Punks gestürmt wird. „Der schöne Rainer“, eher ein Schunkelpogo, hat wieder ein bitteres Thema. Der Song handelt von einem Zuhälter, der geschützt von den Bullen Frauen zur Prostitution zwingt. „Molotow“, der letzte der insgesamt 15 Songs, besingt den von der Band erfundenen gleichnamigen Cocktail, der traditionell in einem 5-Liter-Benzinkanister zubereitet und in einem solchen auf einigen Konzerten zum letzten Song des Abends durch das Publikum gereicht wurde. Das Rezept findet sich zum Selbermachen auf dem Cover, eine Mischung mit 1A Hirnausschaltqualitäten, ähnlich wie die Ox-Knüllerbowle. Die LP war so erfolgreich, dass sie noch im selben Jahr von Dayglo/Rough Trade neu aufgelegt wurde und sogar in der Teenie-Zeitschrift Bravo besprochen wurde. Im Nachhinein betrachtet ist „Keine Träume“ eine der Platten dieser Zeit, die der sogenannten „Deutschpunk“-Szene den notwendigen Tritt in den Hintern verpassten, um wieder hochzukommen.
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