30 Jahre später: NOISE ANNOYS

Foto

First Step (LP, KO, 1990)

In der Hamburger Szene der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre dreht sich das Besetzungskarussell schnell, viele Bands sind kurzlebig aber bis heute einflussreich. Eine Vielzahl an Klassikern und Semi-Klassikern entsteht. Generell ist Hamburg in der deutschen Punkhistorie der verkannte lärmende Bruder der eher studentisch-kunstorientierten Punkavantgarde aus Düsseldorf. NOISE ANNOYS entstehen 1988 – benannt nach einem Song der BUZZCOCKS – quasi mit der zweiten Welle der Hamburger Bands aus der Asche von TORPEDO MOSKAU, die 1984 mit dem Album „Malenkaja Rabota“ ein leider übersehenes Juwel des deutschen Punkrock abgeliefert hatten. Drummer Stephan Mahler (ex-SCREAMER) wechselt später zu SLIME, Bassist Arne Wagner und Gitarrist Martin Witte (ex-SCREAMER, RAZORS) gründen mit drei anderen Mitstreitern NOISE ANNOYS. Der eher rauhe Sound von TORPEDO MOSKAU wird etwas geschliffen. NOISE ANNOYS sind deutlich melodischer, singen englisch und orientieren sich an den BUZZCOCKS und den DICKIES. Man beherrscht mittlerweile seine Instrumente und Arne setzt seine stimmlichen Fähigkeiten umfangreich ein, was die Nähe zu den DICKIES aufgrund seines cleanen Vibratogesangs noch verstärkt. 1989 entstehen die Single „My Mummy“ (KO-Records) sowie die Aufnahmen zum ersten Album, das dann auf Vinyl 1990 ebenfalls auf KO-Records erscheint. NOISE ANNOYS werden so etwas wie die erste deutsche Pop-Punk-Band auf internationalem Niveau, mit zwei bis drei Liebesliedern fast schon zu gemäßigt für Hamburger Verhältnisse, aber dadurch eben mit Alleinstellungsmerkmal. Das Majorlabel Virgin wird auf sie aufmerksam und bringt 1991 das zweite Album „Third Try“ heraus, womit der Output dann aufhört. Im Jahr 1993 ist Schluss. „First Step“ ist definitiv ein Album, das den vielzitierten Test of Time besteht und das auch heute noch frisch klingt. Auch der Punkrock-Millennial, der sich an den DESCENDENTS beziehungsweise ONE MAN ARMY oder DEAD TO ME und anderen Bands von Jack Dalrymple erfreut, wird diesem Album genauso viel abgewinnen können wie der Achtziger-San-Francisco-Punk Nostalgiker. Nach dem Ende der Band gründen Arne Wagner und NOISE ANNOYS-Bassist Sven Reder zusammen mit Mathias Hagenah (ex-RUBBERMAIDS) SQUARE THE CIRCLE, die ab 1995 drei Alben veröffentlichen, zwei davon auf Wolverine Records, und die nahtlos an die Klasse der NOISE ANNOYS-Alben anknüpfen. Näheres zu Arnes seit 1988 mit mehreren längeren Pausen immer noch aktiven Projekt C3I kann man in Ox #132 nachlesen. Unterm Strich gehört „First Step“ zu meinen zehn liebsten deutschen Punkrock-Alben und ist definitiv ein Schätzchen, das es zu entdecken gilt.