2LHUD

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Und täglich grüßt der Kölner Express

Was macht dich eigentlich so sicher, dass du die Worte, die du genau in diesem Moment liest, nicht schon einmal gelesen hast? Vielleicht ist alles was du tust, die bloße Nachahmung und Fortführung eines Lebens, das viele andere vor dir schon einmal gelebt haben. Die Musik, die du hörst, ist so schon hundertmal da gewesen. Deine Lieblingsband - nichts anderes als die Coverband eines drittklassigen Progrock-Kollektivs. Du siehst: wirklich gute Argumente gegen meine Theorie hast du nicht. Ein Glück für dich, dass es Bands gibt wie 2LHUD, die ungeheuer gut darin sind, so zu tun, als seien sie noch nie da gewesen. Und das, obwohl sie zusammengestückelt sind aus ehemaligen 1.Mai 87-, LORD LOUIS- und INNER CONFLICT-Mitgliedern und dem einen oder anderen somit bekannt sein sollten. Seit 2002 sind die Kölner nun mit 2LHUD Meister darin, Punk, Reggae, Dub oder Electrobeats zusammenzuwürfeln, einmal mit dem Rasierer drüber zu fahren, Ecken und Kanten abzusäbeln und die zweite gestochen scharfe Produktion seit Bandbestehen abzuliefern: "[`tsvailu:t]", der Nachfolger des glorreichen "Steckdose>>Licht". 2LHUDs Sänger Stefan Pieck erzählte mir per Mail, weshalb Rechtschreibefehler toll, Metal-Magazine langweilig und "Mediterranes Holzklöppelschnitzen" nicht ganz sein Fall ist.


Stefan, wieso heißt eure aktuelle Veröffentlichung so, wie sie heißt? Nummer zwei hat schließlich euren Bandnamen in Lautschrift als Titel. Ist euch kein anderer Name eingefallen oder wart ihr so genervt davon, dass alle euren Namen falsch aussprechen?

Also, wenn man sich so einen bekloppten Namen aussucht, dann hat man es auch nicht besser verdient, dass es viele Varianten der Aussprache gibt. Daran lag es also nicht. Aber du hast schon Recht, die Platte nach der Band zu nennen, macht immer den Eindruck "da ist denen aber nix eingefallen". Und was soll ich sagen? So war es auch ein wenig. Andererseits ist das auch alles ziemlich bekloppt. Punk ist gegen die Konvention, schafft kreativ was Neues, setzt auf andere Mittel! Und dann: jede Band hat einen Namen, ein Logo, eine Platte heißt irgendwie, ist 35 Minuten lang, es gibt ein buntes Cover ... Sehr unkonventionell, sehr kreativ und sehr neue Mittel! Und genauso ist unsere Platte, eigentlich stinklangweilig, tausendmal schon da gewesen, also vorhersehbar! Wenn nur die Musik nicht da drauf wäre, die ist nämlich wirklich etwas anders und darauf kommt es an.

Ihr beschäftigt euch in euren Texten intensiv mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Als wie groß empfindet ihr eure individuelle Handlungsfreiheit im Alltag? Angenommen, sie würde in Zukunft in Deutschland weiter beschnitten werden - was würdet ihr tun?

Informationelle Freiheit ist ein Konstrukt, eine Phantasie und die wird ganz woanders zuerst beschränkt als durch staatliche Mittel, nämlich bei uns selbst! Ich kann mich kaum beklagen, wenn ich mir nicht selber eingestehe, wie ich mich selbst einschränke. Nur weil wir in Köln wohnen, wird der Kölner Stadtanzeiger oder - wenn es mal schnell gehen muss - der Express gelesen. Damit habe ich aber ganz viel versäumt und kann bei weitem nicht behaupten, gut informiert zu sein. Vor allem muss man aber auch in der Lage sein, Information lesen zu können, also jetzt nicht wirklich lesen, sondern im Sinne von "verstehen". Also, wer schreibt was, wie ist der Autor gestrickt, unter welchem inneren oder äußeren Diktat steht er, wie ist seine Situation? Und an dem Punkt weiß ich, das kann ich nicht. Ich bleibe Opfer dessen ,was ich an Informationen bekomme, und muss mir dessen bewusst sein. Da zeigt sich die ganze Beschränktheit unserer erbärmlichen Kreatur. Aber gezielt ignorant sein kann ja auch Spaß machen. Die Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten in den letzten 20 Jahren sind schon enorm, nur scheint sich kaum mehr jemand wirklich davon eingeschränkt zu fühlen. Die Proteste gegen die Volkszählung in den 80ern waren groß, heute hinterlassen wir alle weit mehr persönliche Daten bei einem einzigen Internetausflug und finden es auch noch gut. Das scheint der Preis für eine neue, größere informationelle Freiheit zu sein. Positives Beispiel ist der Klarmann-Blog aus Aachen, den hat es so vor 20 Jahren nicht gegeben, aber wir werden bei der Teilhabe daran sicher beäugt.

Eure Texte handeln ferner von einer Kleinstadtatmosphäre, die ihr als sehr bedrückend empfindet. Inbegriff dieses Umfelds ist für euch unter anderem der Kölner Karneval. Wenn ihr euch euer perfektes Umfeld erschaffen könntet, wie würde eure Stadt aussehen?

Da gäbe es einen großen Fluss, einen Dom, einen Erzbischof, eine Zweitligamannschaft und ein spezielles Bier. Der Reiz des Lebens besteht doch in der Nicht-Perfektion. Jeden Tag Pommes, Pool und Bloody Mary wäre doch auch Scheiße. Die Freude des Alltags ist oft, mit den widrigen Umständen klargekommen zu sein.

Eure Stücke drehen sich oft um Spannungen, die entstehen, wenn man zwischen Extremen hin und her gerissen ist und man keinen klaren Lösungsweg sieht. Wie geht ihr selbst damit um, wenn es kein Schwarz oder Weiß gibt, nur ziemlich langweiliges Grau?

Muss ich bei jeder Nichtigkeit Standpunkt beziehen? Muss alles, was einmal gesagt wurde, Bestand haben bis in alle Ewigkeit? Grau kann manchmal eine sehr harmonische Farbe sein und trotzdem wäre das Leben ohne die täglich auftretenden Spannungen nicht lebenswert. Man erzählt doch nicht Jahre später noch vom tollen Erbsenzählen 1999, sondern lieber davon, dass die 1. Mai-Krawalle 1987 mit zu den Geilsten gehörten, die man mitgemacht hat! Hin und her gerissen sein ist nicht falsch, weil man dann versucht, beide Standpunkte zu verstehen. Dann erst sollte ich mich festlegen und habe ich eine Meinung, die ich selber gut vertreten kann. Unsere Texte sollen ja auch nicht immer ankreiden, draufzeigen, bloßstellen oder politisieren; oft sind es einfach Beschreibungen unserer derzeitigen Lebenssituation.

Zeichnet doch bitte mal den Entstehungsprozess der neuen Platte nach. Wie unterscheidet sich

"[`tsvailu:t]" von "Steckdose>>Licht"?

Teilweise sind manche Stücke schon während der Produktion der ersten Platte in ihrer Entstehungsphase gewesen, doch den Feinschliff gab es erst im Nachhinein. Sicherlich sind wir dieses Mal gezielter an die Aufnahmen herangegangen und klar war, dass wir wieder dasselbe Studio nehmen. Mitgemacht hat unser guter Jan, der für die Aufnahmen und so manchen Nervenkrieg herhalten mussten. Ein paar Gastmusiker waren auch mit dabei, sprich: von uns kann halt keiner Geige oder Posaune spielen. Ein großer Unterschied zum Vorgänger ist, dass diese Platte durchgängiger ist. Ein wenig weg von Experimenten, zurück zu den Wurzeln, sprich: geradeaus sollte es gehen, und das ist uns, glaube ich, sehr gut gelungen.

Was glaubt ihr, wieso haben so viele Leute ein Problem damit, wenn Bands nicht mehr in ihre alten Klischees passen und einen neuen Sound machen, sich neu zusammensetzen oder andere Texte schreiben?

Heute habe ich ein Metalmagazin in den Fingern gehabt und, was soll ich sagen, ich kenne über die Hälfte der Bands noch und die machen immer noch teilweise denselben Mist wie vor 20 Jahren, ist das gut oder schlecht? Es ist halt bekannt und man weiß halt, was man kauft. Ich persönlich finde, diese ganze Uniformierung à la H&M zeigt sich auch in der Musik. Alles wird gekauft, was gerade in/hip ist, man möchte sich abheben von der Masse, unterscheidet sich aber nur dadurch, dass die Streifen auf meiner neuen Punk-Hose von Dior engere Abstände haben als die von was weiß ich wem. Selber denken, selbst kreieren, sich selbst entwickeln, das sollte vielleicht wieder auf dem Lebensplan stehen.

Habt ihr das Gefühl, dass viele Leute euch als Projektionsfläche für ihre eigenen Wünsche, Probleme und Träume sehen? Wenn ja, wie geht ihr damit um?

Tja, was die Wünsche angeht, gibt es natürlich den Klassiker: "Auf Konzerten Lieder von vergangenen Projekten spielen." Machen wir aber nicht oder zumindest sehr selten. Mit den Problemen ist es eher so, dass Leute ankommen, bei denen man mit einem Text irgendwas berührt hat und die gerne dann mal ein wenig drüber quatschen wollen. Die Oma von nebenan macht das beim Frisör, diese Leute auf Konzerten oder in der Kneipe beim Bier. Ist doch auch in Ordnung so. Reden hilft auf jeden Fall und kann doch oft das eine oder andere Missverständnis aus dem Wege räumen. Projektionsfläche, für was auch immer, ist jeder, der sich auf eine Bühne stellt und Statements oder einfach seine Meinung kundtut. Wie wir damit umgehen? Kölsch natürlich; Kum, loss mer fiere, net lamentiere ...

Welche Ratschläge würdet ihr jüngeren Bands geben, die gerade damit anfangen, Musik zu machen?

Um ein altes Interview zu zitieren: "Wir haben Haare auf dem Rücken und die muss man sich verdienen." Eigentlich ist es einfach: das machen, was einem gefällt, und vielleicht einmal versuchen, über den Tellerrand zu schauen, was nicht immer leicht ist. Und vielleicht in der Schwemme der ganzen Musik, die man heute bekommt, sich auch einmal die Zeit und Muße zu nehmen, Sachen von anderen genauer anzuhören, vielleicht entdeckt man ja neue Sichtweisen für sich. Jedenfalls dranbleiben.

Ihr macht alle schon enorm lang Musik. Was motiviert euch nach all den Jahren, weiter Musik zu machen?

Schuld ist der Spaß, den wir immer noch daran haben! Nicht nur das "Durch-die-Gegend-fahren" und mit netten Leuten lockere Abende zu verbringen gehören dazu; auch musikalisch neue Ideen umsetzen zu können. Sicher hat es in den Jahren Umbesetzungen gegeben. Mit zunehmender Eingebundenheit in Familie oder Beruf hat doch der eine oder andere nicht mehr die Zeit oder Energie aufbringen können, sich auch noch um Konzerte oder Probetermine zu kümmern. Also haben schon ein paar Leute aus dem direkten Umfeld das Musikmachen aufgegeben. Klar könnten wir uns jetzt hinsetzen und via Selbstfindungskurs andere Mittel und Wege finden, Gefühle, Gedanken und Ideen zu verarbeiten; da mir aber "Angstfreies Töpfern" genauso wenig liegt wie "Mediterranes Holzklöppelschnitzen" bleibe ich doch lieber beim Gitarrespielen und Texteschreiben. Das Leben und der Rest der Welt bieten immer noch Ansatzpunkte genug, um mit netten Akkorden und freundlich, aber ernst gemeint, den Mittelfinger auszustrecken. Amen.