100BLUMEN

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Alles, nur keine Zyniker

Es gibt Platten, die erscheinen absolut zum richtigen Moment und holen einen treffsicher an dem Punkt ab, wo mensch sich gerade gefühlsmäßig befindet. Und genauso eine Scheibe ist das neue Album von 100BLUMEN aus Düsseldorf mit dem bezeichnenden Titel „Hoffnung, halt’s Maul!“. Gerade auch weil die Band aus persönlichen Gründen nach ihrer letzten 12“ „Das Ende“ eine längere Pause einlegen wollte, habe ich mich umso mehr über das unerwartete Lebenszeichen gefreut. Wir sprechen darüber mit Sänger Marcel (auch Synthesizer), Gitarrist Chris und Schlagzeuger Malte, wie auch über Hoffnungen, Revolution und Happy Places. Neu dazugekommen ist Akki am Bass.

Ihr habt mit eurem speziellen Sound aus Punk, Noise, Elektro eine eigene Nische geschaffen. Wohin sortiere ich 100BLUMEN in meiner Plattensammlung?

Marcel: Zu den Bands, die immer unterschätzt werden?
Chris: Unter den besten neuesten Scheiß, der live noch besser ist als auf Platte. Also insofern die Platten überhaupt sortiert sind.

Nach eurer EP „Das Ende“ wolltet ihr ja eigentlich eine längere Pause einlegen. Jetzt erscheint „Hoffnung, halt’s Maul!“ und ihr geht wieder auf Tour, was sind die Gründe für den Sinneswandel?
Marcel: Wir wollten 2020 noch ein paar Konzerte spielen und uns dann für längere Zeit verabschieden. Es hatten sich doch sehr starke Verfallserscheinungen bemerkbar gemacht. Malte hatte seit 2018 immer mal wieder depressive Episoden und war komplett überarbeitet, und dann denkst du natürlich auch darüber nach, wozu das Ganze, müssen wir wirklich 25 Wochenenden weg sein und unter der Woche der Lohnarbeit nachgehen? Wir haben dann für uns die Reißleine gezogen und gesagt, dass wir uns wenigstens mit einer EP verabschieden wollen auf unbestimmte Zeit. Und dann kam Corona. Das hat alles verändert für uns. Malte haben wir sechs Monate nicht mehr gesehen, weil der als Pfleger mit schwer mehrfachbehinderten Menschen arbeitet und nicht unters normale „Volk“ gehen durfte, damit er kein Corona einschleppt. Wie der erste Lockdown für uns alle war, das weiß ja jeder, wir haben das ja selbst erlebt. Als wir uns dann im August 2020 das erste Mal wieder trafen, hatten wir das Gefühl, dass wir doch weitermachen wollen. Wir dachten da ja auch noch, dass wir demnächst wieder spielen und unsere ausgefallenen Konzerte nachholen können. Wie auch immer, plötzlich stand Akki vor unserer Proberaumtür. Na ja, so plötzlich war das gar nicht.
Chris: Na ja, wir hatten also zufällig zwangsläufig eine etwas längere Pause. Wie alle anderen ja auch. Nur dass wir es sowieso wollten.
Malte: Die sechs Monate ohne Proben und Konzerte haben mir mal ganz gutgetan. Allerdings merkte ich irgendwie, dass mir die beiden anderen doch manchmal fehlen. Dann kam ich in den Proberaum und wir waren zu viert. Einer mehr ist immer gut.

Mit erwähntem Akki von OIRO habt ihr jetzt auch einen Bassisten. Wie ist es dazu gekommen?
Marcel: Wir kennen uns ja schon seit langem und er hat immer wieder nachgefragt, ob er nicht mal zum Bass spielen vorbeikommen kann, und dann, im Oktober 2020, haben wir ihn eingeladen. Er hat sich unsere Songs via Spotify draufgeschafft und einfach mit uns gespielt. Das hat uns außerordentlich gut gefallen und Akki sieht ja für sein hohes Alter noch sehr gut aus. Dann durfte er mitmachen.
Akki: Und ich hatte direkt von Anfang an Spaß daran und euch hat es gutgetan, einen reiferen Herrn dabei zu haben. Es ist ja so, wenn man Veränderungen zulässt, egal ob sich eine Band reduziert – wie es mit OIRO passiert ist – oder jemanden dazuholt, kann es den nötigen frischen Wind bringen. Und da die anderen drei nette und offene Erdenbürger sind, haben sie mir musikalisch genügend Platz und Luft gelassen, mich mit meinen vier Saiten auszutoben und haben nicht auf die eingefahrenen Strukturen bestanden. Jetzt teilen sich OIRO und 100BLUMEN sogar den gleichen Übungsraum und schnuppern den gleichen Kellermief. Während der Pandemie habe ich sehr viel Zeit dort verbracht und Kellerluft gerochen. Wir können froh sein, dass Corona nicht so riecht.
Malte: Ich finde, dass Akki auch außerhalb des Proberaums ein bisschen so riecht, aber ich steh drauf.
Chris: Wir haben den doch gar nicht eingeladen, oder? Eingeschlichen und aufgedrängt hat er sich!

Ihr wart ja lange bei Plastic Bomb Records, jetzt seid ihr auf Rookie. Was waren die Gründe für den Labelwechsel?
Marcel: Ronjas Geruch. Hahahahahahahaha, nein. Das war ein Spaß, Ronja riecht sehr gut. Ich weiß nicht, ob sich manche Menschen vorstellen, dass Plastic Bomb ein mächtiges Unternehmen ist, wo richtig Geld fließt. Das ist nicht so. Plastic Bomb ist vor allem ein Fanzine von Idealist:innen und weniger ein Musiklabel. Die Möglichkeiten sind deshalb auch einfach begrenzt. Ich denke, wir wollten auch mal sehen, wie hoch unser „Marktwert“ so ist. Wir haben ein Demo aufgenommen und das wirklich richtig schnuckelig geschmückt, mit Stencil besprüht und Tape und CD und Blumengranaten aus Glas, die wir mit Plastikblumen gefüllt haben. Das war dann ein besprühter Schuhkarton mit dem ganzen Zeug drin und unserem Demo. Bekommen haben das zum Beispiel Plastic Bomb, Audiolith, Aggressive Punkproduktionen und so weiter, unter anderem auch JKP, und da muss ich sagen, dass deren Manager sich als Erster zurückgemeldet hat, das war ziemlich witzig. Na ja, es ist aber auch dabei geblieben. Unter anderem hat Jürgen von Rookie Records auch eine Box bekommen. Und er fand das ganz gut und so haben wir die Verhandlungen aufgenommen und letzten Endes ein Album bei ihm gemacht. Und wir sind immer noch mit Ronja befreundet.

Noch mal zurück zur EP „Das Ende“. Der Titelsong ist eine Abrechnung mit den Käffern Langenfeld und Monheim, zwischen Köln und Düsseldorf gelegen. Seid ihr dort aufgewachsen?
Marcel: Ja. Eigentlich ist es keine Abrechnung mit der Kleinstadt an sich. Wer aber bunte Haare hatte damals, wurde auch gerne mal von schnauzbärtigen Typen vermöbelt. Erklärt vielleicht auch meine Schnauzbart-Aversion.
Malte: Aufgewachsen? Ich wohne ja noch da. Hahaha. Ich denke, Marcel schreibt solche Texte, um mich zu retten. Langenfeld ist wirklich schlimm, aber Monheim hat noch das Sojus. Da geht noch was.
Chris: Ich nicht ... aber fast. Für Hilden gilt aber im Grunde dasselbe. Wären wir alle so glücklich aufgewachsen wie Akki in Aurich, hätte es das Lied vermutlich nie gegeben.
Marcel: Aurich ist ja auch so ein Happy Place, deswegen lebt Akki ja auch in Düsseldorf. Chris, Malte und ich wurden im gleichen Krankenhaus in Hilden geboren. Und ja, ich versuche, Malte mit solchen Liedern zu retten. In diesem Fall würde ich sogar sagen: Ich bin seine Stimme!

Mit „Träumen Androiden“ gibt es auf der EP eine Hommage an den ersten „Blade Runner“-Film. Die Platte erschien ja nicht umsonst im November 2019, dem fiktiven Datum, an dem der Film spielt. Im Text selbst verwendet ihr Passagen aus dem Sterbemonolog des Replikanten Roy. Wie seid ihr darauf gekommen?
Marcel: Da kam einiges zusammen, das passte einfach zu gut. um es nicht zu nutzen. Ich bin ein riesiger Filmfan und ich habe immer mal wieder Passagen aus Filmen für 100BLUMEN benutzt. Aus „Der große Diktator“ zum Beispiel, manchmal aber auch nur Geräusch-Samples. Aber Punkern das mit dem Samplen zu erklären, habe ich schon vor langer Zeit aufgehört – Zwinkersmiley. „Blade Runner“ ist ein absoluter Meilenstein des Science-Fiction-Kinos und hat quasi Cyberpunk erfunden. Vielleicht nicht erfunden, aber der Film hatte einen unfassbar großen Einfluss auf das Science-Fiction-Genre, obwohl er eigentlich ein Kassenflop war 1982. Der ikonische Sterbemonolog hat sich dann ja auch in die Popkultur eingebrannt.

Euer neues Album wirkt düsterer und zynischer auf mich. War da „Hoffnung, halt’s Maul!“ der passende Titel?
Marcel: Zynisch finde ich nicht richtig. Ironisch oder sarkastisch, ja das finde auch. Wir sind keine Zyniker. Nun, was die letzten Jahre passiert ist und was auch in der Zukunft passieren wird, kotzt uns einfach an. Ich habe nicht das Gefühl, dass es besser wird oder absehbar besser werden kann. Unsere Welt stirbt in einem rasanten Tempo und alte weiße Männer stehen am Straßenrand und machen sich über Jugendliche von Fridays for Future lustig. Da könnte ich nur noch kotzen! Wir haben Nazis in den Parlamenten und irgendwo ist immer Krieg. Nazis bringen immer noch Menschen um und auf dem Mittelmeer ertrinken Geflüchtete. Keine Ahnung, woher ich meine gute Laune nehmen soll. Und ja, unser Album ist düsterer und melancholischer als alle anderen davor.
Akki: Die derbsten Krisen geben sich die Klinke in die Hand und Menschen zeigen ständig ihre hässliche Fratze. Manchmal fangen sie gut an, strecken, wie 2015, beide Arme als Willkommensgruß aus und nach kurzer Zeit geht nur der linke Arm nach unten. Es ist frustrierend, sich mit diesen alten Themen beschäftigen zu müssen. Und es kommen immer neue hässliche Themen dazu. Es beschleicht einen das Gefühl, dass das Menschsein ständig mit Kampf verbunden ist. Und das ist so unfassbar dumm. Ich möchte meine Energie nicht für irgendwelche Kämpfe verbrauchen. Klingt naiv, ist aber so. Ich will meinen Happy Place. Die Hoffnung aufrechtzuerhalten, kostet da sehr viel Kraft.

In den Texten malt ihr stellenweise düstere Bilder mit einem Funken Hoffnung wie in „Ey, die Vögel“. Dann ist es wieder eine Mischung aus Melancholie und Wut wie bei „Kaputt“.
Marcel: Auch da triffst du den Nagel auf den Kopf. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Auch wenn ich komplett loslassen möchte manchmal, so einfach ist das aber nicht.

Bei „Alles ist im Arsch“ blickt ihr zurück und singt von Träumen von Revolution. Sind die ausgeträumt?
Marcel: Für mich sind die momentan ausgeträumt. Ich wüsste nicht, woher das aktuell kommen soll. Die deutsche Linke ist alles andere als eine Bewegung. Mit wem soll die Revolution denn stattfinden? Mit uns, die wir uns in AZs und Bauwagenplätzen verschanzen, um unseren eigenen Status quo zu erhalten? Sicher nicht.
Chris: Na ja, auf Deutschland mag das ja grundsätzlich zutreffen. Es gibt ja aber noch ein paar andere Länder und Kontinente auf der Welt, in denen es schon noch anders aussieht. Vielleicht muss es ja auch nicht immer direkt die große Revolution sein, von der man träumt, soziale Kämpfe und Herausforderungen gibt es aber immer noch zur Genüge. Überall. Und völlig zu Recht und notwendigerweise. Damit fühlen wir uns schon auch verbunden und solidarisch und hoffen, unseren Teil dazu beizutragen.
Marcel: Alles außer der Revolution ist kacke! Na ja, ich mag Katzen. Katzen sind okay.

Bei „Ein Drittel Hass“ habe ich spontan an „Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin“ denken müssen. Wessen Herz ist da so verkümmert? Oder für wen habt ihr diesen Song geschrieben?
Marcel: Das ist das Herz von ... keine Ahnung. Ich stelle mir da zum Beispiel so Kunden vor, die in sozialen Netzwerken gerne Bilder mit Sprüchen teilen, die nicht ihre sind, hinter denen es sich aber prima verstecken lässt, die ihrem Dasein eine Tiefe geben, die sehr wahrscheinlich nicht existent ist. So genaue Vorstellungen davon, was ich ausdrücken will, habe ich aber eigentlich nicht. Ich habe manchmal einfach so was wie Bilder im Kopf und dann versuche ich, diese in Worte zu fassen. Viel wichtiger finde ich, was andere darin sehen.
Akki: Ich kenne auch sehr viele, wo nicht ein Tropfen Pisse im Herzen ist, und die sind nicht gemeint und die Personen bewahre ich mir.
Marcel: Ja, die gibt es ganz sicher. Aber um die geht es auch nicht.

Was war der Grund für den Song „Schlachthaus“, wo die Rufe einer Kuh in einem Schlachthof nach ihrem Kälbchen zu hören sind?
Marcel: Ich bin seit 1991 Vegetarier und meine erste vegane Phase hatte ich von 1992 bis 1998. Jetzt lebe ich seit 2010 vegan. Ich habe noch nie ein Lied darüber gemacht, aber mir ist das schon wichtig und jetzt war es einfach mal Zeit, so was zu machen. Die Band fand das gut, vielleicht auch zuerst etwas weird, eine Kuh zu „Wort“ kommen zu lassen. Ich habe das Lied einem Freund vorgespielt und der musste weinen. Wenn ich nur einen Menschen erreichen kann, ist das für mich schon ein Erfolg. Was wir als Band daraus gemacht haben, ist ein würdiger Abschluss für dieses Album denke ich. Akki nennt es das „böse Lied“.

Ihr geht dieser Tage wieder auf Tour. Was können wir erwarten?
Marcel: Blut. Schweiß. Tränen. Na, vielleicht ohne Blut.
Akki: Mein Happy Place.
Malte: Der Akki hat Moves drauf, so was habe ich noch nicht gesehen. Freut euch drauf.
Chris: Ich befürchte es.
Marcel: Ich bin ehrlich gesagt schon ziemlich gespannt.