MISSSTAND

Foto© by Bernhard Schindler

Apathie auf mehr

Wie passend ihr Bandname 2020/21 sein würde, konnten diese drei jungen Menschen aus der Umgebung Klagenfurts 2007 noch nicht wissen, als sie ihre Band MISSSTAND nannten. Aus den jugendlichen Kärntnern wurden mittlerweile erwachsene Grazer, aus dem Trio ein Quartett, das die Brüder Mani (Gitarre, Gesang) und Patze (vormals Bass heute Gitarre und Gesang) und ihr neuer Schlagzeuger Manny nun mit ANTIMANIFEST-Bassist Siegi komplettiert haben. Da aller guten Dinge vier sind, erscheint im Juli auf Aggressive Punk Produktionen ihr viertes Album „Bon Apathie“.

Erst einmal Glückwunsch zum Album, das ist, wie ich finde, wieder sehr gut geworden.

Patze: Danke. Wir sind auch selbst wirklich sehr zufrieden mit dem neuen Album. Ich würde fast so weit gehen zu sagen, dass es das beste MISSSTAND-Album bis dato ist.

Wie entsteht denn so ein Album in Zeiten von Corona?
Der ganze Entstehungsprozess hat in etwa von Februar bis September 2020 gedauert. In dieser Zeit haben wir die Songs zusammen im Proberaum geschrieben und sie dann schlussendlich aufgenommen. Geprägt war die Zeit auf jeden Fall von all den Lockdowns, während der wir nicht proben konnten. Stattdessen haben wir eben versucht, vieles von zu Hause aus fertig zu machen.

Ihr habt wie schon zuletzt in Tom Zwanzgers Stressstudio aufgenommen und das Album dieses Mal live eingespielt?
Patze: Genau, Tom hat mittlerweile einfach das richtige Gespür dafür, wie ein Album von uns schlussendlich klingen soll. Und ja, wir haben zum ersten Mal alle Songs live eingespielt. Das hat viel Spaß gemacht und war eine neue Herausforderung, die unseren Songs im Endeffekt auch sehr gutgetan hat.

Im Gegensatz zu früher seid ihr neuerdings zu viert unterwegs, was der Platte meiner Meinung nach gut zu Gesicht steht. Warum habt ihr euch dazu entschieden, Siegi als Bassisten mit an Bord zu nehmen und Patze stattdessen an die Gitarre zu lassen?
Mani: Als wir mit dem Songschreiben für das neue Album begonnen haben, wurde uns irgendwann klar, dass wir gerne einmal etwas Neues ausprobieren wollen. Wir haben gerade in Deutschland getourt, als uns die Idee kam, dass wir eine vierte Person in die Band holen wollen. Da Patze eigentlich ohnehin viel besser Gitarre spielt als Bass, war der Wechsel vorprogrammiert, was dem Songwriting echt guttat.

Mit Siegi hattet ihr ja auch schnell den passenden Bassisten zur Hand.
Mani: Stimmt, uns verbindet eine langjährige Freundschaft und Siegis Bassspiel bei ANTIMANIFEST hat uns schon immer sehr gefallen. Daher war er auch ganz klar die erste Wahl. Als wir am Ende der Tour pünktlich zum neuen „Tatort“ wieder in Graz angekommen sind, haben wir uns direkt mit Siegi getroffen, ihn gefragt, und gleich darauf angestoßen. Das war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.

Die richtige Entscheidung, aber nicht die einzige Veränderung. Ihr habt schließlich auch einen neuen Drummer.
Patze: Genau. Unser langjähriger Schlagzeuger Dani hatte leider keine Zeit mehr, um bei MISSSTAND zu spielen. Das hat sich dann auch gesundheitlich bei ihm ausgewirkt. Zu Beginn waren wir kurz etwas niedergeschlagen, da wir ja doch zehn Jahre lang in dieser Besetzung gespielt haben. Aber es stand dennoch für uns alle fest, dass wir natürlich weitermachen wollen. Manny, unserem neuen Drummer, habe ich schließlich eine SMS geschrieben, ob er Bock hätte, einmal zu uns in den Proberaum zu kommen, und ob er sich vorstellen könnte, bei uns zu spielen. Nach zehn Minuten Probe hat sich dann auch sofort gezeigt, dass das passt. Und hands down – Manny ist ein wahnsinnig guter Schlagzeuger und ein super lieber Mensch. Wir sind total happy. Dani hat sich auch sehr gefreut, dass das so nahtlos übergegangen ist.

„Bon Apathie“ ist ein großartiger Albumtitel. Was hat es damit auf sich?
Mani: Der Titel hat eigentlich schon vor 2020 festgestanden, hat dann aber mit dieser ganzen Pandemie-Sache doch ganz gut zusammengepasst. Auch wenn es nicht direkt auf die Corona-Situation anspielt, sondern davor eigentlich eher gesamtgesellschaftlich gedacht war. Er fasst aber, denke ich, die Grundstimmung des Albums ganz gut zusammen. „Bon Apathie“ ist inhaltlich ein eher düsteres Album geworden. Aber es sind ja auch düstere Zeiten.

Die lustige Sauf- und traurige Liebeskummer-Fraktion wart ihr ja ohnehin noch nie, und ja, politischer Punkrock ist gerade wohl so wichtig wie lange nicht.
Patze: Tatsächlich haben wir auf dem Album einen Feiersong und auch bestimmt den eine oder andere melancholischen Nummer am Start, haha. Ach, aber keine Ahnung, ob politischer Punkrock so wichtig ist wie lange nicht. Ich mag natürlich Bands mit Message, aber tue mich immer ein bisschen schwer mit der „Wichtigkeit“ von Musik. Ich selbst höre auch viel Musik, die nicht in erster Linie nur politisch ist.

Ihr behandelt aber schon viele politische Themen auf dem Album.
Patze: Klar, beispielsweise haben wir uns mit strukturellem Rassismus innerhalb der Polizei befasst. Auch mit der medialen Berichterstattung nach den Terroranschlägen in Halle und Hanau, die uns angekotzt hat. Und ja, ein Jörg Haider-Song hat es finally auch einmal auf ein MISSSTAND-Album geschafft.

Ja, „Haider Youth“. Über die Textzeile „Traditionen im Herzen, Scheiße im Hirn“ musste ich sehr lachen. 13 Jahre nach Jörg Haiders Tod also ein Haider-Song, warum?
Mani: „Haider Youth“ handelt vor allem von den ganzen Haiders, die heute noch in unserer österreichischen Regierung sitzen. Sie haben zwar andere Namen, verfolgen aber eigentlich dieselben Interessen und Ziele. Auch wenn es damals viele gerne so gehabt hätten, hat der Tod Haiders Österreich leider nicht vom Rechtsextremismus befreit. Wie auch Straches Abgang wegen des Ibiza-Videos nicht. Österreich wird immer noch von Rechtsextremen regiert. Wenn eine:r geht, kommt ein:e andere:r nach.

Auf früheren Alben hattet ihr immer schon gerne Gastmusiker von Szenegrößen wie ALARMSIGNAL, KOTZREIZ oder FAHNENFLUCHT dabei. Aber eben immer Männer. Nun holt ihr euch mit Ren Aldridge von den PETROL GIRLS und Sarah von AKNE KID JOE zwei großartige Sängerinnen zur Verstärkung. Zufall oder Statement?
Patze: Bei „Ohnmacht//Hamsterrad“ wussten wir beispielsweise direkt im Proberaum, dass wir hier gerne eine Gastsängerin hätten. Da haben wir Ren gefragt und sie hat direkt zugesagt. Genauso war es dann bei „No country for old white men“, als wir Sarah angefragt haben. In erster Linie sind wir Fans ihrer Musik. Aber natürlich ist Punkrock zu weiten Teilen ein „Boys Club“ und uns ist bewusst, dass wir das selbst auch in gewisser Weise reproduzieren. Gerade deshalb wollen wir uns mit unserer Position auseinandersetzen und uns pro-feministisch positionieren. Wer die Debatte langweilig oder überzogen findet, fand Rassismus vor dreißig Jahren vermutlich auch kein allzu großes Ding. Wir wollen uns garantiert nicht als die vier Vorzeigetypen hinstellen, die alles gepeilt haben. Jedoch wissen wir, dass da noch sehr viel falsch läuft und alle Ismen fangen schlussendlich bei uns selbst an.

Was anderes, das Coverartwork sieht auch ganz geil aus. Dafür ist Mani verantwortlich?
Mani: Ja, genau, das Artwork ist auch dieses Mal wieder von mir. Davor waren die Cover ja eher in Cut & Paste-Optik gehalten, dieses Mal hatten wir Lust auf etwas Gezeichnetes. Das Artwork sollte die Tristesse und die generelle Grundstimmung des Albums darstellen. Mit roughen Linien, dezenten Farben und diesem langweilig eingerichteten Raum im Mittelpunkt, welcher übrigens an das Reha-Zimmer einer guten Freundin angelehnt ist.

Zurück zum Line-up. Live gespielt habt ihr in der neuen Besetzung vermutlich noch nicht?
Mani: Nein, leider noch nicht. Wir haben allerdings Ende 2019 in Klagenfurt mit Siegi und Dani bereits einmal drei Lieder zu viert gespielt.

Wann war eure letzte Show, wann geht es endlich weiter und was macht Corona sonst so mit euch?
Mani: 2020 waren wir, bevor es mit Corona losging, gerade noch auf Tour in Israel. Das ist aber auch schon wieder 14 Monate her. Zum Albumschreiben war die Konzertpause aber durchaus sehr passend, da wir anfangs durchaus noch stattfindende Proben dafür nutzen konnten. Aber mittlerweile fühlt es sich schon surreal an, nur daran zu denken, wieder einmal ein Konzert zu spielen. Oder generell zusammen Musik zu machen. Die letzte Probe ist nämlich auch schon wieder knapp acht Monate her. So richtig abzusehen, wann wieder Konzerte stattfinden können, ist ja leider auch noch nicht. Wir freuen uns aber alle schon wahnsinnig darauf, endlich in der aktuellen Besetzung aufzutreten und die neuen Lieder live zu spielen. Herdenimmunität jetzt!