Einige Bands hören auf, weil sie des dauernden Tourens und der Routine müde werden und lieber ein gemütliches Familienleben führen wollen. Andere kommen genau deswegen wieder zurück. Dieser Tage erscheint nach sieben Jahren das neue Album der New Yorker Band H2O, um die es nach vier Alben und zahlreichen Touren zwischen 1995 und 2001 sehr still geworden war. "Nothing To Prove" knüpft an alte Tage an, auch 2008 stehen H2O für schnelle melodische Songs und die Positive Message und Attitude der Band. Entsprechend zeigte sich Sänger Toby Morse, der mittlerweile in Kalifornien lebt, bei unserem Gespräch in bester Laune.
"Still here after all these fucking years."
Eigentlich waren H2O ja nie ganz weg. Zumindest hat die Band sich selbst nie zu Grabe getragen. Vielmehr entschloss man sich irgendwann, einige Gänge zurückzuschalten, nachdem man sechs Jahre fast ausschließlich im Studio oder unterwegs verbracht hatte. Diese Auszeit wurde dann immer länger, weil alle fünf Bandmitglieder es genossen, auch mal ein vergleichsweise langweiliges Alltagsleben zu führen. Hinzu kam, dass ein Teil der Band anfing, sich die Zeit mit Neben- oder neuen Projekten zu vertreiben. So stieg Gitarrist Todd Morse bei JULIETTE & THE LICKS ein, der Band der Independent-Film-Ikone Juliette Lewis. Statt jährlich neun Monate auf Tour zu sein, gab es für ihn auf einmal Partys mir Rod Stewart und Elton John.
"Just doing the best I can."
Todds Bruder Toby startete mit seinen Freunden Hoya und Freddie Cricien von MADBALL die Band HAZEN STREET. Entstanden war das Projekt, weil Hoya und Toby einfach mal gemeinsam etwas machen wollten, "nur zum Spaß, um uns die Zeit zu vertreiben". 2004 veröffentlichten HAZEN STREET, zu denen sich noch Mackie Jason von den CRO-MAGS, David Kennedy von ANGELS & AIRWAVES und Chad Gilbert von SHAI HULUD und NEW FOUND GLORY gesellt hatten, ein Album und spielten einige Shows in den USA. So konnte sich Toby langsam wieder an das Bandleben gewöhnen und fing langsam an, sich Gedanken über ein neues H2O-Album zu machen. Zunächst spielte die Band wieder einige Shows, tourte auch einmal durch Europa, und merkte dabei, dass die Pause allen gut getan hatte, und dass es wieder Spaß machte unterwegs zu sein.
"Because you look like, act like, a fake!"
Gefragt, wie er im Nachhinein die Entscheidung beurteile, für das letzte Album "Go" aus dem Jahre 2001 beim Majorlabel MCA Records angeheuert zu haben, überlegt Toby nur kurz. Es sei damals die richtige Entscheidung gewesen und habe der Band neue Möglichkeiten eröffnet, auch wenn abzusehen gewesen war, dass es dafür Kritik hageln würde. Die Band sei sich bewusst gewesen, dass man nicht die Erwartungen des Labels hinsichtlich der Verkaufszahlen erfüllen würde. "Go" sei deshalb auch nicht der Versuch gewesen, ein massentaugliches Album zu schreiben. Vielmehr hätte man zum ersten Mal ein riesiges Budget für die Aufnahmen gehabt und konnte einiges ausprobieren. Im Nachhinein sei es vielleicht einfach nur zu viel des Guten gewesen, so ein selbstkritischer Herr Morse. Das Ergebnis der Liaison mit MCA selbst verteidigt er aber mit dem Hinweis, dass langsam auch immer mehr der damals kritischen Stimmen zugeben würden, eigentlich sei es ja ein gutes Album gewesen. Die Sellout-Vorwürfe, die in einer solchen Situation unvermeidlich seien, hätten ihn nicht wirklich gestört, schließt Toby die Zeit auf einem Majorlabel ab. Denn es sei kein Sellout, solange sich eine Band selbst treu bliebe und nicht anfange, sich zu verstellen, um ein paar Platten mehr zu verkaufen. "Wir wussten, dass sich unsere Verkaufszahlen nicht steigern würden, also haben wir nicht eine Sekunde daran gedacht, uns irgendwie zu verstellen."
"Me and all my friends, we've got nothing to prove, nothing to lose."
Mittlerweile waren sieben Jahre seit "Go" vergangen, länger als die Zeit, die die Band benötigt hatte, um die ersten vier Alben zu veröffentlichen. "Go" war seinerzeit sehr kritisch aufgenommen worden, war es doch geradezu überproduziert und ließ die Frische und Energie vermissen, die H2O bis dahin ausgezeichnet hatten. Toby beschreibt daher die Einstellung, mit der man sich Anfang des Jahres 2008 an die Aufnahmen zum neuen Album machte, folgendermaßen: "Es gab keinen Druck, der da irgendwie auf uns lastete. All die Jahre, in denen wir weg waren und uns teilweise auch ausgebrannt gefühlt hatten, hatten wir dieses Gefühl, noch ein Album in uns zu haben. Also haben wir das Ding in etwas mehr als zwei Wochen runtergespielt. Wir waren so lange weg, und die Kids kannten uns trotzdem noch immer. Wir hatten nichts zu verlieren, also wollten wir einfach unser bestes Album machen." Bei den letzten Worten lacht Toby Morse und fügt hinzu, "Nothing To Prove" sollte nicht weniger als ihr "Everything Sucks" werden, das Album, mit dem sich die DESCENDENTS nach langer Pause so eindrucksvoll zurückgemeldet hatten.
"You took what you needed and disappeared again."
Ist das neue Album also auch ein Comeback, wie es bei den DESCENDENTS zweifellos der Fall war? Angesichts der Zeit, die zwischen den letzten beiden Veröffentlichungen liegt, erscheint das nahe liegend. Andererseits hat ein Comeback ja immer auch etwas von einem vorangegangenen Ende. Man merkt schnell, dass es dem Sänger wichtig ist, gerade ein solches zwischenzeitliches Aus seiner Band zu verneinen. "Nothing To Prove" sei einfach von allem etwas, so die Sichtweise der Band. Es habe aufgrund des Zeitabstandes zum Vorgänger durchaus etwas von einem Comeback, sei gleichzeitig aber auch einfach nur das nächste Album, das die Band aufnehmen wollte. Daneben könnte es aber auch ein Neuanfang sein. Hatte die Band zunächst geplant, einfach nur dieses eine Album noch aufzunehmen, merkte man beim Schreiben der Songs und bei den Aufnahmen sehr schnell, dass der Faktor Spaß wieder da sei und sich ähnlich anfühle, wie in den Anfangstagen der Band. So unterschrieb man bei Bridge Nine Records konsequenterweise auch gleich für zwei Alben. Zunächst war man sich nicht sicher, ob in der Musikszene noch Platz sei für eine Band wie H2O, nachdem sich in den letzten Jahren doch einiges verändert habe. Doch die ersten Reaktionen auf das neue Material waren durchweg positiv, so dass alles darauf hindeutet, dass H2O mit neuer Frische auch über diesen Kontrakt hinweg in Zukunft alle paar Jahre ein neues Album aufnehmen könnten. "Aber beim nächsten Mal warten wir vielleicht nur fünf Jahre", scherzt Toby.
"I'm feeling disconnected."
Ein Grund, warum diese eigentlich nicht ernst gemeinte Zeitangabe doch wahr werden könnte, sind die neu gesetzten Prioritäten im Leben des H2O-Sängers. "Meine Familie ist jetzt meine Szene", lautet auch die Antwort auf die Frage, wie sich das Dasein als Familienvater anfühle. Während es früher für ihn wichtig war, jeden Tag mit Freunden abzuhängen und jedes Konzert in der Nähe zu besuchen, verbringt Toby Morse mittlerweile die Zeit am liebsten mit seinem fünfjährigen Sohn Max. "Max ist mein bester Kumpel geworden. Und, er ist mein größter Fan", lacht Toby. So ist der Nachwuchs auch mehrfach auf dem neuen Album zu hören, ebenso wie ein anderer prominenter Freund von Max Morse. "Matt Skiba von ALKALINE TRIO wohnt in unserer Nachbarschaft und verbringt fast genauso viel Zeit mit Max wie ich." Sein Sohn sei auch einer der Gründe, warum Toby auf die bevorstehenden Touren zum neuen Album mit gemischten Gefühlen blickt. "Wenn ich mal drei Tage von daheim weg bin, ruft mich Max jeden Abend an und sagt mir, dass er mich vermisst. Es wird richtig schwer werden, mal einen Monat weg zu sein. Andererseits ist Max ja auch der größte H2O-Fan und kann alle Songs mitsingen. Ich darf ihn also nicht enttäuschen."
"Straight edge before you were born."
Neben seiner Familie kümmert sich Toby hauptsächlich um die kleine Klamottenfirma S.E.O.G., die er seit einigen Jahren als Haupteinnahmequelle betreibt. O.G. stehe dabei weniger für "Original Gangster" als vielmehr für "Original Guy" und solle zum Ausdruck bringen, dass er nach all den Jahren immer noch an seiner Lebenseinstellung festhält. "Ich erinnere mich noch daran, als alle straight waren. Gerade die lautesten Prediger sind dann irgendwann am heftigsten ins Gegenteil verfallen. Für mich war das dagegen schon immer eine private Entscheidung. Ich wollte nie andere bekehren. Als ich meine Firma gesgründet habe, war das einfach der Name, der zu mir gepasst hat. Früher war es D.I.Y., eine Plattenfirma zu haben. Heute sind es eben T-Shirts, weil alten Menschen wie mir Klamotten wichtiger sind. Schließlich steht O.G. in meinem Fall ja auch für ‚Old Guy‘."
"What happened to the reason for screaming?"
Aber nicht nur die Zahl derer, die noch immer straight sind, hat sich verändert. "Als wir angefangen haben, drehte sich in New York alles um Hardcore. Jetzt kommen wir zurück, und jeder ist Emo oder Screamo", beschreibt es der ehemalige SICK OF IT ALL-Roadie treffend. Tatsächlich haben Bands alter Hardcore-Schule nicht nur in New York, sondern darüber hinaus in den ganzen USA und weltweit die einstige prägende Rolle verloren und sind bisweilen fast zu einer Randerscheinung geworden. Die heutige Musikszene wird vielmehr von Metalcore geprägt und allem, was unter dem Begriff Post-Hardcore versammelt wird. "Wir haben geschrieen, um damit unsere Wut über etwas zum Ausdruck zu bringen und um die Leute wachzurütteln." Heute dagegen werde geschrien, um des Schreiens wegen, und geweint, wenn man schreien sollte, findet mein Gesprächspartner. Mit diesem Teil der Szene fühle er sich nicht verbunden.
"That's when the music meant the most to me."
Aber auch wenn sich so manches verändert habe gegenüber der goldenen Zeit des Hardcore Mitte der 1980er bis Mitte der 90er, sei noch nicht alles verloren. Es soll sie noch geben, die Jugendlichen, die für den Reiz kurzer schneller Songs noch einen Sinn haben. Diesen Kids sei es wichtiger, dass die Lieder eine Botschaft vermitteln, anstatt nur dem Gitarristen der Band die Chance zu geben, minutenlang seine Solokünste unter Beweis zu stellen. Besonders beeindruckend findet Toby, dass sich immer noch Jugendliche, die in den 90ern noch zu jung waren, um auf Konzerte zu gehen, H2O-Tattoos stechen lassen und zu den neuen Gesichtern zählen, die er auf den Release-Shows zum neuen Album so zahlreich gesehen hat. Daneben seien aber auch noch viele der alten Fans da, so dass sich am anderen Ende der Leitung in Kalifornien keine Sorgen um die Zukunft von H2O bemerkbar machen. "Wir waren uns vor diesem Album ja nicht so ganz sicher, ob uns noch viele Leute sehen wollen. Aber in den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass es immer einen Platz für Hardcore geben wird, und damit auch für H2O."
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