LOKALMATADORE

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Mehr als Schalke und sekundäre Geschlechtsmerkmale

Vor ziemlich genau 35 Jahren gründeten sich in Mülheim/Ruhr DIE LOKALMATADORE als Keimzelle des Ruhrpott-Punkrock. Wegzudenken ist das Ungetüm aus der deutschsprachigen Punkrock-Landschaft schon lange nicht mehr, und daran wird sich wohl so schnell auch nichts ändern. Von der Urbesetzung Bubba, Rommel und Ralph sind die beiden Erstgenannten noch immer dabei, und Sänger Fisch ist auch fast schon genauso lange dabei. Die „Lokalen“ glänz(t)en mit Beiträgen auf Samplern wie „Wir sind Schalker“, „Arschlecken Rasur Vol. 1“ oder dem Gunter Gabriel-Tribut „Liebe, Autos, Abenteuer“, und klappern noch immer die Clubs und Festivals der Nation ab. Zum 35. Geburtstag sprachen wir mit der Band über mehr als Schalke und Geschlechtsmerkmale.

Wie kam es einst zur Gründung von DIE LOKALMATADORE?

Rommel: Ich habe in Mülheims angeblich erster Punkband BIG HAMMER TRIO gespielt. Da hieß Punk auch gerade erst Punk. Unser erstes Konzert war in einem besetzten Kino – instrumental, aber dafür haben die Leute einfach reingebrüllt.

Bubba: Ich war in den beiden Vorläuferbands von LOKALMATADORE aktiv: BLUTTAT und PISSRINNE. Veröffentlicht haben wir mit PISSRINNE damals nie etwas. Erst posthum kam neulich eine Picture-LP von PISSRINNE raus mit den alten Demo-Aufnahmen. Da hört man deutlich den Einfluss von ABWÄRTS und Co. Auseinandergegangen sind die Bands, weil man verschiedene Ansichten hatte. Die einen wollten mehr politischen Hardcore machen, die anderen lieber saufen.

1987 kam dann Fisch dazu. Was hast du vorher gemacht?

Fisch: Vorher hatte ich ein eher so ein halbgutes Dada-Projekt namens GERRY NÜCHERLEIN UND DIE SUMPFSEESCHWALBEN. Wir hatten großartige Texte wie „Wenn ich ein Adler wäre, wäre ich ein Adler“ oder „Hänschen klein ging allein Schwänzchen in die Höh‘.“ Und dann gab es noch das unausgegorene und von vornherein zum Scheitern verurteilte Projekt DEAD POPSTARS: Der Bassist war ein Hippie, der etwas Neil Young-mäßiges machen wollte, der Gitarrist war ein Grufti und im Hintergrund lief eine Drum-Machine. Ich hatte aber Bock auf Sixties-Garage-Pop. Das war billig und nicht gut.

Bubba: ... reichte aber, um bei LOKALMATADORE einzusteigen: Mit einem Tape der Band hatte Fisch sich bei uns „vorgestellt“ und wir haben ihn als Koryphäe – na ja, er war halt bekannt wie ein besoffener, ähm, bunter Hund – gerne aufgenommen. Ich war damals vollkommen überlastet mit dem Multitasking aus Texte schreiben und singen, Gitarre spielen und saufen. Da brauchten wir jemanden fürs Mikro.

Norbert Blüm ist 1992 dazugestoßen. Woher kamst du?

Blüm: Von QUELLMANN und natürlich DIE RUHRPOTTKANAKEN.

35 Jahre DIE LOKALMATADORE: Euer bester Moment?

Bubba: Als Schalke in den UEFA-Cup kam und wir abends in der Cobra in Solingen gespielt haben.

Fisch: Das war deswegen ein Höhepunkt, weil wir besoffener waren als jemals in unserer Karriere zuvor und danach. Wir waren vorher im Stadion und sind dann rüber nach Solingen gefahren.

Rommel: Wir wurden gefahren! Von uns hätte keiner mehr fahren können – nicht mal mehr mit dem Öffentlichen Nahverkehr.

Blüm: Ich fand übrigens das Weihnachtskonzert im Star Club ziemlich großartig.

Legt ihr eure Konzerte nach dem Spielplan von Schalke?

Bubba: Nee, Schalke legt seine Spiele nach unseren Konzerten.

Und was war der bitterste Moment in all den Jahren?

Rommel: Hömma, dat kann ich dir direkt sagen: Dat war der 19. Mai 2001, als Schalke für 4:38 Minuten Meister war.

Fisch: ... und abends haben wir noch mit DIE KASSIERER und SONDASCHULE in Krefeld gespielt. Und der damalige Bassist von SONDASCHULE ist Bayern-Fan und kam uns da gleich jubelnd im Trikot entgegen, die alte Pottsau.

Bubba: Der soll froh sein, dat der noch lebt.

Blüm: Ein Kumpel von mir wollte damals mit zum Konzert. In dem Glauben, dass wir Meister sind, haben wir das Stadion vorzeitig verlassen und er hat sich draußen an so einem Devotionalien-Stand für unglaublich teure dreißig Mark eine Fahne gekauft. Dann dreht der sich mit der Fahne um und da kommt ihm so’n Oppa mit einem Radio am Fahrradlenker entgegen und sagt: „Is’ allet vorbei. Die Bayern ha’m gerade ausgeglichen. Is’ allet vorbei.“ Zurückgeben konnte er die Fahne natürlich nicht mehr.

Ich persönlich kann ja nix mit Fußball anfangen ...

Fisch: Worüber redest du dann mit deinen Freunden?

Das tut hier nix zur Sache. Aber wie passen Punk und Fußball zusammen? Und wie boxt ihr euch als Schalker durch, wenn gefühlte 99% der Punkrock-HörerInnen St. Pauli-Fans sind?

Bubba: Punk und Fußball gehörten von Anfang an zusammen. Das fing mit den 1860 München-Fans Siggy Pop und MARIONETZ an und hat sich eben bis heute durchzogen. Manche Bands machen das mehr zum Thema, andere weniger. Aber wenn man auf Tour andere Bands trifft, hat man mit Fußball immer sofort ein Gesprächsthema.

Blüm: Fußball gehört ja auch einfach zum Pott ...

Fisch: ...wie es EMSCHERKURVE 77 ja schon auch in ihrem Namen tragen.

Ist Fußball für euch aufmunternd?

Bubba: Leider nicht – wir sind ja Schalker.

Sollen wir lieber über Dortmund reden?

Blüm: Worüber?!

Bubba: Über diese Stadt im Norden von Lüdenscheid.

Bei Songs wie „Fußball, Ficken, Alkohol“ klingt es so, als wäret ihr eine durch und durch unpolitische Band.

Fisch: Von unserer Musik her stimmt das, ja. Wir haben aber auch keine Lust, zusammen mit obskuren Grauzonenbands zu spielen, und haben deswegen schon Festivalauftritte abgesagt.

Dann lasst uns über Prollgehabe sprechen. Manche – auch innerhalb der Punkrock-Szene – fühlen sich von Texten wie „Pillemann, Fotze, Arsch“ auf den Schlips getreten.

Fisch: Was denn für ein Gehabe? Du bist doch nur neidisch, dass du da nicht drauf gekommen bist.

Das stimmt allerdings. Dabei ufert die Debatte oft weiter zur Sexismusdiskussion aus ...

Fisch: Bei dem Song handelt es sich lediglich um die Aufzählung von Geschlechtsmerkmalen. Mit Pillemann, Fotze und Arsch sind auch alle Geschlechter berücksichtigt – was soll daran sexistisch sein? Wir sind es nicht. Und dann spielt ja noch ein gewissen Kunstfaktor eine Rolle: Ich habe ja auch nicht, wie im Song „Schuhkarton“ beschrieben, eine Kiste mit Leichenteilen zu Hause.

Bubba: Nee, die habe ich zu Hause, schließlich habe ich den Song geschrieben.

Gab es für das Coverstück „Ich lass’ dir den Kochtopf, lass’ du mir mein Bier“ schon Trouble?

Rommel: Peter Alexander hatte damit einen Hit, Gunter Gabriel hat’s geschrieben, wir haben’s übernommen, sind daher sozusagen raus.

Fisch: Gunter Gabriel hat uns dafür gefeiert. Ich hab’s mal mit ihm im Duett gespielt. Wir haben den Titel „Gefangener der Straße“ – eigentlich ein Duett von Gabriel und Manfred Krug – zu einem Gunter Gabriel-Tribut-Sampler beigetragen. Bei der Präsentation habe ich ihn damals solo gesungen und Gunter kam dann überraschend mit auf die Bühne und hat „Kochtopf“ mit mir gesungen. SONDASCHULE waren übrigens auch mit dabei. Aber nein, wir haben für den Song noch keinen Ärger bekommen.

Blüm: Was sollen irgendwelche Kids uns beinahe fünfzig, sechzig Jahre alten Männern auch vorwerfen oder vorschreiben? Das tun wir den nachfolgenden Generationen doch auch nicht! Im AZ Mülheim werden wir eh niemals spielen. Ist dann auch okay so.

Fisch: Wer unsere Texte ernst nimmt, dem ist sowieso nicht zu helfen.

Blüm: Sag du uns doch mal, worüber wir singen sollten.

Nee, aber diese Ansage nehmen wir mal auf als Versicherung dafür, dass ihr noch weitermachen werdet.

Fisch: Wir haben uns dran gewöhnt und sind zu faul zum Aufhören.

Blüm: Solange DIE KASSIERER noch spielen, wird es uns auch noch geben.

Ihr werdet ja auch ständig miteinander verglichen ...

Blüm: Wenn es eine Band gibt, mit der wir uns verbündet fühlen, dann sind es DIE KASSIERER.

Geht euch der Vergleich nicht manchmal auf den Sack?

Fisch: Nee, eigentlich nicht. Nur mit dem Unterschied, dass wir keine Kunst machen ...

Rommel: ... sondern Rock’n’Roll. Wir wissen nur noch nicht, wie lange noch.