YOU WEREN’T THERE: A HISTORY OF CHICAGO PUNK 1977-1984

Man muss von „American Hardcore“ genauso wenig begeistert sein wie von „Verschwende deine Jugend“, kann die Arbeitweise von Regisseur/Autor und seinen Fokus kritisieren, doch eines haben sowohl der Film wie das Buch ausgelöst: Sie brachten andere Kreative dazu, es besser machen zu wollen und ihre Geschichten zu erzählen.

Joe Losurdo (einst Bassist bei LIFE SENTENCE aus Chicago) und Christina Tillman ging das wohl ähnlich, und so drehten sie diesen Film über die ersten Jahre der Punk-Szene von Chicago, von 1977 bis 1984.

Der weist formal keinerlei Besonderheiten, arbeitet mit dem bewährten Muster des Wechsels von Interviewpassagen zu abgefilmten Fotos und Flyern und alten Konzertvideos. Interessant ist wie immer bei solchen Dokus das, was gesagt wird, aber auch einige der Konzertmitschnitte sind wirklich sehenswert.

Chicago war trotz seiner Größe nie ein echtes Zentrum der US-Punk-Szene, das vermittelt auch der Film, doch mit NAKED RAYGUN, EFFIGIES, BIG BLACK, LIFE SENTENCE und ARTICLES OF FAITH gab es zumindest ein paar Bands (und mit Wax Trax einen Laden nebst Label), an die man sich bis heute erinnert und deren Akteure damals eine wichtige Rolle in der Szene spielten.

Interessanterweise sind diese vier Bands sowie die mir bislang unbekannten STRIKE UNDER die einzigen von den knapp 20 erwähnten Bands, die einen eigenen Wikipedia-Eintrag haben – TUTU & THE PIRATES als Chicago-Punk-Pioniere, die kontroversen SILVER ABUSE oder RIGHTS OF THE ACCUSED gilt es noch aufzuarbeiten.

Wichtigste Gesprächspartner der Filmemacher waren die Mitglieder der erwähnten Bands, gerade die NAKED RAYGUN- und EFFIGIES-Leute, aber auch Vic Bondi (AOF) und Steve Albini erzählen viel, doch auch Club-Betreiber, Fanzinemacher und Konzertveranstalter von damals kommen zu Wort, und so ergibt sich das Bild einer Szene, die es schwer hatte in einer Stadt, in der Polizei und Behörden Punk und Hardcore alles andere als wohlwollend gegenüberstanden.

Hinzu kamen noch die szeneinternen Konflikte, und auch 25 Jahre später nehmen etwa Vic Bondi und Steve Albini kein Blatt vor dem Mund und sagen über einander nicht gerade Nettigkeiten. Der heute hoch geschätzte Albini kommt in dem Film auch nicht gerade gut rüber, wirkt extrem kauzig und war wohl schon immer jemand, der mit Kritik am Tun anderer nicht sparte.

Die Doku ist trotz zwei Stunden Laufzeit kurzweilig, die Konzertmitschnitte etwa von NR und EFFIGIES begeisternd, und es ist allein das Alte-Männer-Fazit am Schluss, das Punk als etwas Vergangenes darstellt (nur Jeff Pezzati hält dagegen), das die Sache etwas vergällt.

Mir liegt nur die DVD vor, die reguläre Version kommt wohl als Kombination aus LP (mit vielen der erwähnten Bands) und DVD.