Es ist doch eine schizophrene Situation. Da steigt Bruce Dickinson Anfang der Neunziger bei IRON MAIDEN aus, um sich musikalisch mittels der beiden Soloplatten "Balls To Picasso" und "Skunkworks" neu zu orientieren.
Während seine ehemalige Band mit neuem Sänger in die Belanglosigkeit rutscht, fällt Dickinson irgendwann ein, dass er doch gerne wieder Metal-Sänger sein würde und spielt 1997 bzw. 1998 zusammen mit dem Produzenten, Gitarristen und Songschreiber Roy Z.
und dem alten Maiden-Gitarristen Adrian Smith die großartigen Alben "Accident Of Birth" und "The Chemical Wedding" ein. Gerade ersteres ist ein Meisterstück klassischen Heavy Metals, das den Blick auf die sich zur selben Zeit immer weiter selbst demontierenden IRON MAIDEN noch mitleidiger werden ließ.
Dann, 1999, passiert das, was keiner mehr zu hoffen wagte: Bruce Dickinson und Adrian Smith steigen wieder bei IRON MAIDEN ein und nehmen mit ihren neuen alten Bandkollegen das Album "Brave New World" auf.
Aber leider verdient das Ding auch mit viel Wohlwollen und im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk Maidens gesehen höchstens das Prädikat "Och ja, ganz nett". Selbiges gilt für "Dance Of Death" von 2003.
"Tyranny Of Souls" dagegen, Dickinsons neues, sechstes, Soloalbum ist wieder grandios geworden. Wieso also schafft es der Mann, im Alleingang ganz hervorragende Platten zu machen, während er zusammen mit IRON MAIDEN nur noch Grütze abliefert? Ist es die Zusammenarbeit mit Roy Z.? Ist das Arbeiten ohne den Maiden-Chef Steve Harris entspannter und kreativer? Woran es auch liegen mag, mit "Tyranny Of Souls" hat Bruce Dickinson wieder mal gezeigt, dass ihm im Bereich des traditionellen Metals in Sachen Songwriting und Gesang keiner was vormacht.
Vom flotten und harten Metal-Song über soliden Rock bis hin zu eher balladesken Sachen, Dickinson hat die komplette Heavy Metal-Palette drauf wie kein Zweiter und bietet bei den zehn Songs auf "Tyranny Of Souls" eventuell sogar die beste Gesangsleistung seiner Karriere (und das, obwohl er wegen eines kaputten Rückens den Großteil der Platte im Liegen eingesungen hat).
Man höre sich als Beispiel nur den Song "Kill devil hill" an, der all das eben genannte in sich vereint und mit seinem Gänsehaut erzeugenden Chorus dafür sorgt, dass man beinahe andächtig auf die Knie sinken will.
Im Grunde ist es mir egal, wie viele nette, aber überflüssige Alben IRON MAIDEN noch machen wollen, so lange Bruce Dickinson zusammen mit Roy Z. - dessen Gitarrenarbeit hier mal wieder absolut erstklassig ist - so brillante Platten schreibt und aufnimmt, ist der Verfall der alten Helden zu verschmerzen.
(09/10)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und André Bohnensack