„Aktuell sind die Tonträger der Scherben nicht im Handel erhältlich, nur bei Konzerten dürfen sie verkauft werden. Grund dafür ist ein Rechtsstreit mit Rios Erben, seinen Brüdern Gert und Peter Möbius.
Gibt es dafür irgendwann eine Lösung?“ – Das fragten wir im Frühjahr 2014 TON STEINE SCHERBEN-Gitarrist R.P.S. Lanrue, und dessen knappe Antwort lautete: „Dazu sage ich gar nichts, sonst ist meine gute Laune weg.“ Jahrelang hatten sich die Reste der von 1970 bis 1985 existierenden Band um den legendären, 1996 verstorbenen Frontmann Rio Reiser um das Vermächtnis und das Erbe der wohl wichtigsten deutschen Gegenkulturband gestritten, scheinbar ohne Aussicht auf Erfolg.
2015 scheint eine Verständigung erzielt worden zu sein, denn die bereits 2006 erschienene Box „Gesamtwerk“ wurde nun neu aufgelegt, sowohl alle fünf Originalalben im Schuber auf 180-Gramm-Vinyl wie auch als 13-CD-Box inklusive Live-Aufnahmen, Demos und Raritätensammlung – und ist nun frei erhältlich.
Die USA hatten Ende der Sechziger und bis 1972 MC5, die unfassbar beeindruckende Verbindung aus maximalst durchschlagkräftiger Rockmusik und radikaler linker Rhetorik – und Deutschland hatte TON STEINE SCHERBEN.
Die waren zwar musikalisch, anders als MC5, weit weniger radikal und eher dem Hippie-Rock als dem aufkommenden Hardrock und Punk verpflichtet, aber textlich ein krasser Gegensatz zum damals verbreiteten linken Liedermacher-Blabla.
In Kreuzberg ansässig und in die dortige Politszene und ihre Diskussionen eingebunden, schrieben Reiser und Band die Texte zu den Demo-Slogans, skandierten „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“, „Der Kampf geht weiter“, „Allein machen sie dich ein“, „Keine Macht für Niemand“, „Der Traum ist aus“ und „Die letzte Schlacht gewinnen wir“, formulierten stellvertretend für zehntausende aufbegehrende Studenten und Lehrlinge Wünsche, Träume und konkrete politische Forderungen.
Erstaunlich ist, wie aktuell viele der Texte auch vierzig Jahre, nachdem sie geschrieben wurden, noch sind – kein Stück naiv, sondern klar und analytisch und vor allem kompromisslos und radikal.
Viele Bands, die danach kamen, griffen nur noch auf, was die „Scherben“ vorgelegt hatten, bis hin zu den ersten deutschen Punkbands, als deren Wegbereiter und Vorgänger Reiser und Co. gelten.
Geschmälert wird das Vergnügen an TON STEINE SCHERBEN letztlich jenseits der ersten beiden Alben dadurch, dass unter musikalischen Aspekten nie die Radikalität und Härte etwa von MC5 und STOOGES erreicht wurde, deren Schaffen auch heute noch unerreicht ist und Bestand hat, während die „Scherben“ schon etwas angejahrt klingen.
Einer eingehenden Beschäftigung schon aus rein popkulturellen Gründen sollte das allerdings keinesfalls entgegenstehen.
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