Der Anspruch ist amtlich: „Dem Namen getreu ist dieses Kollektiv kein Ort für Personenkult und Selbstinszenierung: Jeder ist ersetzbar. Im Vordergrund steht die Katharsis von Band und Publikum. ICOYNs Musik ist eine Hymne für alle, die den Ketten der Konformität entfliehen wollen, und ein Schlachtruf für die enttäuschten Massen.“ Worauf die 2012 im südbadischen Rheinfelden gegründete Gruppe aus ist, gibt diese selbstbewusst preis. Nach einigen EPs und Singles markiert „Testament der Dekadenz“ den ersten Longplayer der sechsköpfigen Band. Dass hier zwei Frontmänner zugange sind, ist dem bloßen Hören nach nicht unbedingt erkennbar. Weshalb sich die Musiker den Namen I CUT OUT YOUR NAME geben und dann sogleich auf ICOYN verkürzen, ist eine weitere Frage, die unbeantwortet bleibt. Fest steht indes, dass die Formation das tut, wonach ihr ist. Das gilt stilistisch, wenn ein Feld zwischen Metal, Hardcore, Rap und Punk in zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten mutig durchspielt wird. Und das trifft auch textlich zu, wenn das Sextett zum Rundumschlag gegen die Großindustrie und den Kapitalismus oder imperiales Streben der Weltmächte oder den ganz normalen Alltagswahnsinn aufbegehrt. Überraschend sind dabei allenfalls die melodische Anreicherung und gegebene Hörbarkeit von „Testament der Dekadenz“, dessen Titel programmatisch auszulegen ist. I CUT OUT YOUR NAME aus dem südbadischen Dreiländereck bauen auf die Erfahrung von mehr als 300 Shows. In Anbetracht der thematischen Ausrichtung und spürbaren Wut, die den Band-Aktivitäten zugrunde liegen, würde man gemeinhin schroffe bis radikale Crossover-Sounds erwarten. Überraschenderweise begnügen sich ICOYN zumeist mit antizipierbaren Songstrukturen und gezügelter musikalischer Vehemenz. Warum nur? Der Ansatz des Sextetts würde eigentlich mehr ermöglichen.
© by Fuze - Ausgabe #107 August/September 2024 und Arne Kupetz
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Benjamin Korf