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SCHANDE

Man hat ja schon seit geraumer Zeit das Gefühl, das Filmgeschäft hätte sich in eine Art Secondhandladen verwandelt, der überwiegend aus der Adaption bekannter Romane, Comics und Computerspielen besteht beziehungsweise sich selbst recycelt.

Originäre Stoffe werden immer seltener und tauchen eher im öden Kunstkino auf. Die entscheidende Frage dabei lautet: Darf man sich eigentlich wirklich ein Urteil über einen Film erlauben, dessen Vorlage man nicht kennt? Vor allem, wenn es sich bei SCHANDE (OT: DISGRACE) um den Bestseller eines Literaturnobelpreisträgers handelt.

Und natürlich habe ich J.M. Coetzees 1999 veröffentlichten Roman mal wieder nicht gelesen, in dem sich der Südafrikaner wie in anderen seiner Büchern mit der Postapartheid-Ära seines Heimatlandes beschäftigt, vor allem auf der zwischenmenschlichen Ebene hinsichtlich der Konflikte zwischen Schwarzen und Weißen sowie Männern und Frauen.

Seine Hauptfigur ist der 52-jährige, geschiedene Literaturprofessor David Lurie (den John Malkovich wundervoll als kühl berechnenden, arroganten Intellektuellen darstellt), der nach einer Affäre mit einer Studentin seinen Job an einer Uni in Kapstadt aufgeben muss, weil er vor der Untersuchungskommission wenig echtes Schuldbewusstsein zeigt.

Lurie zieht daraufhin in die Provinz zu seiner Tochter Lucy, die dort eine kleine Farm betreibt, will dort eigentlich eine Oper über Lord Byron schreiben, wird aber stattdessen mit der harten Lebensrealität des Postapartheid-Landes außerhalb der Großstädte konfrontiert, als Lucy von Schwarzen vergewaltigt wird, ohne dass er dabei die Chance hat, ihr zu helfen.

An diesem Punkt beginnt in SCHANDE ein spannender wie verwirrender Exkurs darüber, wie die beiden damit umgehen, da Coetzee und Regisseur Steve Jacobs (der eher als Schauspieler bekannt ist) den brutalen Raubüberfall und seine moralischen Konsequenzen im Kontext der generellen historischen Entwicklung Südafrikas betrachten.

Und während David davon angetrieben wird, den Schuldigen zu finden, sieht Lucy ihren pragmatischen Umgang mit dem Vorfall als eine Art Wiedergutmachung für das an den Schwarzen begangene Unrecht.

Lucys Mischung aus Erkenntnis und Resignation gegenüber den herrschenden Verhältnissen soll letztendlich eine gute Ausgangsbasis für einen Neuanfang schaffen, so ungewöhnlich das auf den Zuschauer auch wirken mag.

Dabei geht es aber auch um die traurige Tatsache, dass Südafrika nach wie vor ein ungemein gewalttätiger Platz auf dieser Welt ist. Vor allem Vergewaltigungen stehen dabei auf der Tagesordnung, sind sogar regelrecht gesellschaftlich akzeptiert, das heißt, kaum einer der Täter wird dafür jemals zur Verantwortung gezogen.

Bereits 1996 hatte der Südafrikaner Ian Kerkhof einen Film namens NICE TO MEET YOU, PLEASE DON’T RAPE ME! gedreht, in dem es um genau dieses Thema geht. SCHANDE ist dabei ein durchaus leiser, poetischer Film geworden, der allerdings gleichermaßen hart mit seinen Protagonisten und auch dem Zuschauer umspringt.

Jacobs verpackt sein verstörendes Thema in extrem schöne Bilder und macht SCHANDE durch diesen Kontrast, der Nähe von ländlicher Idylle und der unterschwellig ständig präsenten Gewalt und Anarchie, welcher man hilflos ausgeliefert ist, noch um einiges quälender.

Und ohne das Buch gelesen zu haben, hat man dennoch das Gefühl, dass Jacobs die Grundelemente von Coetzees Vorlage bewahren konnte, ohne die komplexen Zusammenhänge der Handlung banal zu vereinfachen, sondern eher klarer zu gestalten, wofür er auch gut erkennbar die richtigen Bilder fand.

Ein angenehm menschliches, ergreifendes Werk mit tollen Darstellern, „thought provoking“, ohne anstrengend intellektuell zu sein, und sicherlich einer der besten 2009 erschienenen Filme. Bereits seit Ende März auf DVD mit eher durchschnittlichen Features zum Film erschienen und noch mal wärmstens empfohlen.