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ROHTENBURG

Der größte Skandal am deutschen Skandalfilm des Jahres 2006 war, dass Armin Meiwes, besser bekannt als „Kannibale von Rotenburg“, mithilfe findiger Anwälte drei Jahre hatte verhindern können, dass Martin Weisz’ fiktive Aufarbeitung dieser Geschichte hierzulande aufgeführt werden durfte.

Ziemlich albern eigentlich, denn im Ausland war der Film durchaus auf DVD erhältlich. Dieses Verbot hob der Bundesgerichtshof am 26. Mai 2009 auf, zwischenzeitlich hatte sich Meiwes aber schon in einem Buch und einem Dokumentarfilm verewigen lassen – Verletzung von Persönlichkeitsrechten my ass! Weniger spannend ist Meiwes Tat seitdem nicht geworden, denn trotz aller medialer Selbstinszenierungskünste dieses erstaunlich normalen Irren bleibt es schwer nachzuvollziehen, warum jemand auf die Idee kommen könnte, eine andere Person zu essen, es sei denn, er müsste sein eigenes Überleben sichern.

Doch dieser Ausbruch aus der Zivilisation in Gestalt von Kannibalismus gepaart mit sexueller Triebhaftigkeit bleibt in dieser Form nur ein weiterer schwer zu schluckender Eintrag im Buch menschlicher Perversionen, gut dokumentiert in einem Homevideo von Meiwes.

Wer die Fakten dieser Geschichte blind herunterbeten kann, den könnte ROHTENBURG mittlerweile tödlich langweilen, denn trotz „ab 18“-Freigabe dürfte klar sein, dass sein „shock value“ eher begrenzt ist.

In die dusselige Diskussion, ob man das Innenleben eines Kannibalen als lockere Unterhaltung inszenieren darf, will ich erst gar nicht einsteigen, denn da könnte man ja noch einige andere Werke der Filmgeschichte in Frage stellen.

Zumal ROHTENBURG auch gar nicht so lockere Unterhaltung ist und vor allem kein zweiter DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER – und ein cineastisches Debakel ist er ganz bestimmt nicht. Um dem Ganzen eine etwas filmischere Dimension zu geben, hat Weisz die junge Amerikanerin Katie Armstrong (Keri Russell) in die Geschichte hineingeschrieben, die Kriminalpsychologie in Deutschland studiert und durch deren Augen man als Zuschauer noch einmal, inklusive einiger biographischer Deutungsversuche, erleben darf, wie der Kannibale Oliver Hartwin (Thomas Kretschmann) letztendlich an sein Opfer Simon Grombek (Thomas Huber) kommt („Oliver Hartwin wanted to eat someone.

Simon Grombeck wanted to be eaten. They were a perfect match.“). Ein durchaus effektiver Horror-Thriller, wenn man mal die reale Dimension des Ganzen und einige geschmacklose Details ausblendet („Bite my thing! Bite it off! Bite it off!“).

Und im Gegensatz zu der äußerst unappetitlichen, primitiven Billigproduktion CANNIBAL (daran beteiligt ein gewisser Carsten Frank, der sich mal durch die Ausgrabung von Kinskis Paganini-Film verdient gemacht hatte), der sich nur in den spektakulären Details der eigentlichen Tat suhlt, ist ROHTENBURG um eine seriöse Herangehensweise bemüht, die natürlich ganz klar den Meiwes-Fall nachstellt.

Allerdings dürfte in diesem Zusammenhang die Frage erlaubt sein, wie man dabei die Persönlichkeitsrechte von jemand verletzen will, der unter ominösen Umstanden einen anderen Menschen verzerrt hat, denn das hat derjenige ja schon selbst zu genüge besorgt.

Wie auch immer, ROHTENBURG mag ein Schnellschuss mit von außen manipulierter Ladehemmung sein, um aus diesem Fall Kapital zu schlagen. Herausgekommen ist dabei aber immer noch ein Stück versiertes und stellenweise unangenehm verstörendes Genrekino, und um Lichtjahre besser als der Großteil des sonstigen Serienkiller- und True Crime-Bereichs.

Werbe- und Videoclipfilmer Weisz hat auf jeden Fall Talent, das merkt man selbst noch seiner Gurke THE HILLS HAVE EYES 2 an. Interessanterweise ist die ebenfalls auf der frisch erschienenen DVD enthaltene englische Sprachfassung diejenige, in der der Film ursprünglich gedreht wurde.