DEAD KENNEDYS

Mutiny On The Bay CD

Im Jahre 2001 das erste offizielle Live-Album der DEAD KENNEDYS zu besprechen, ohne in elegische Ausschweifungen zu verfallen, fällt nicht ganz leicht, insbesondere wenn das ganze Unheil Punk Rock für einen persönlich seinerzeit mit "Fresh Fruit For Rotting Vegetables" seinen Lauf nahm.

Kürzlich wurde im Ox seitens eines Kolumnisten die Hoffnung geäußert, es möge vielleicht dem Emocore gelingen, dem Punk die Energie zurückzugeben, die ihm verlorengegangen sei. Dem Autor sei diese Meinung trotz ihrer offensichtlichen Widersprüche unbenommen, aber irgendwie, ohne das Hohelied auf die gute alte Zeit anstimmen zu wollen, tat mir diese Person einfach nur leid.

Als eine der in musikalischer und politischer Hinsicht schon zu Lebzeiten einflussreichsten und wichtigsten Bands des Punk Rocks sollte man die DEAD KENNEDYS fairerweise nicht als repräsentative Norm zum Vergleich heranziehen, man muß aber auch nicht unbedingt Musikwissenschaftler sein, um beim Abspielen von "Fresh Fruit For Rotting Vegetables" festzustellen, in welch erbärmlicher Weise selbst die besseren Werke der jüngeren Vergangenheit gegen dieses Album abstinken.

Insofern bleibt einem eigentlich nichts anderes übrig als sich artig für das zuteil gewordene Privileg zu bedanken, in geschmacklicher Hinsicht durch Bands wie die DEAD KENNEDYS und BLACK FLAG geprägt werden zu dürfen, anstatt durch REFUSED und SNAPCASE!!! Andererseits gibt es wohl kaum ein besseres Beispiel als die DEAD KENNEDYS, um die im Punk Rock mit fortschreitender Zeit sich immer weiter öffnende Schere zwischen Anspruch und Realität zu verdeutlichen.

Zu ihren besten Zeiten waren die DEAD KENNEDYS das Optimum dessen, was Punk zu bieten hatte. Der Mittelfinger in der offenen Wunde des amerikanischen Traums. Eine Band, die vor allem dank ihres charismatischen Frontmannes in der Lage war, textliche Zynik und musikalische Dynamik auf intelligente Art und Weise miteinander zu verbinden, das Ergebnis einem breiten Publikum zugänglich zu machen und dieses über den T-Shirt-Stand hinaus zum Nachdenken zu bewegen.

Und was sind die DEAD KENNEDYS im Jahre 2001? Eine Seifenoper, in der es grundsätzlich nur noch um Geld geht. In den Hauptrollen: eine alternde, im persönlichen Umgang zunehmend schwieriger werdende Diva und ein größenwahnsinnig gewordener Ex-Gitarrist.

So lautete jedenfalls der in San Francisco allseits vernehmbare Tenor unmittelbar vor der Urteilsverkündung, ohne dass ich das Bedürfnis verspüre, für einen der Hauptdarsteller Partei zu ergreifen.

Meines Wissens kommt East Bay Ray bereits in dieser Ausgabe des Ox persönlich zu Wort und da Joachim sich auf seltsame Weise immer wieder einem nicht existenten journalistischen Berufsethos verpflichtet fühlt, darf der große JB wohl in naher Zukunft seine Erwiderung abgeben, so dass der geschätzte Leser sich sein eigenes Urteil bilden kann.

Leid tut es mir nur um Uli Elser und seine Mitarbeiter bei Alternative Tentacles, einem Label, das sich nie an irgendwelche Trends angebiedert hat und welches ohne die einkalkulierten Einnahmen aus DEAD KENNEDYS-Verkäufen ganz schön am Arsch geleckt sein dürfte.

Zur Musik: über Sinn und Unsinn eines Live-Albums lässt sich bekanntlich trefflich streiten, insbesondere wenn eine Band 22 Jahre ohne dieses ausgekommen ist, ca. fünf Minuten nach dem Wechsel der Rechte am Bandkatalog aber das erste auf den Markt geschmissen wird.

Die insbesondere von finanziell stark gebeutelten Bands wie Metallica immer wieder gern ausgeblähte Floskel, den armen kleinen Fan vor minderwertigen Bootlegs zu schützen, zieht im Fall der DEAD KENNEDYS ebenfalls nicht besonders, da deren reichlich im Umlauf befindliche Bootlegs teilweise über sehr ansprechende Soundqualität verfügen.

Unabhängig hiervon stehen die auf "Mutiny On The Bay" enthaltenen Aufnahmen in musikalischer Hinsicht außerhalb jeglicher Diskussion. Hier erübrigt sich jeder Kommentar, die Tracklist allein sagt mehr als tausend Worte: Police Truck, Kill The Poor, Holiday In Cambodia, Moon Over Marin, California Über Alles, MTV - Get Off The Air, Too Drunk To Fuck, Goons Of Hazzard, This Could Be Anywhere, Forward To Death, I Am The Owl, Hellnation, Riot!!! Jeder einzelne Song ein Klassiker der Punk Historie! Bedauernswert ist lediglich, dass keine der Aufnahmen aus dem Mabuhay oder dem On Broadway stammt, den in konzerttechnischer Hinsicht mit den DEAD KENNEDYS untrennbar verbundenen Geburtsstätten des US-Westküsten-Punks.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fans der DEAD KENNEDYS von diesem Album enttäuscht sein werden, auch wenn der Anlaß der Veröffentlichung einen faden Beigeschmack hinterläßt. Und wenn man zu den Klängen von "California Über Alles" unweigerlich den Zeigefinger ausfährt, stellt man fest, dass Intimfeinde wie Jerry Brown und Diane Feinstein auch weiterhin in Oakland bzw.

auf den Capitol Hill erheblichen politischen Einfluß ausüben. Vielleicht wird Jello Biafra daher doch noch die große Politkarriere anstreben und der neue Ralph Nader Amerikas werden. Schließlich haben die DEAD KENNEDYS wie kaum eine zweite Band die Ideale und Potentiale des Punks symbolisiert und nun mitanschauen zu müssen, wie die ehemaligen "partners in crime" sämtliche dieser Ideale zugunsten einer persönlichen Vendetta in Windeseile die Toilette hinunterspülen und zu all dem mutieren, was sie in der Vergangenheit aufs Heftigste bekämpft haben, ist ein Anblick, den sich wohl jeder Fan der Band gerne erspart hätte.