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MARY & MAX

Man sollte meinen, Claymation und Stop-Motion-Tricktechnik wären in Zeiten von Computeranimation ein Anachronismus, aber sieht man sich DER FANTASTISCHE MR. FOX oder WALLACE & GROMIT: THE CURSE OF THE WERE-RABBIT an, die sicherlich nicht völlig ohne den Computer auskommen, spricht doch sehr viel für diese Technik, zumindest scheint das Endergebnis lebendiger und liebenswerter zu sein.

Das gilt auch für MARY & MAX, das erste abendfüllende Werk des Australiers Adam Elliot, der mit seinem ähnlich animierten Kurzfilm HARVIE KRUMPET von 2003 einen Oscar erhielt. In HARVIE KRUMPET und auch in den anderen Kurzfilmen Elliots ging es bereits um exzentrische Charaktere aus dysfunktionalen Familien, die unter Einsamkeit und physischen wie psychischen Störungen litten, was auch das beherrschende Thema von MARY & MAX ist.

Basierend auf einer wahren Geschichte, zumindest irgendwie, denn die Figur des übergewichtigen, 44-jährigen New Yorkers Max wurde von einem real existierenden amerikanischen Brieffreund des australischen Regisseurs inspiriert. Besagter Max Horowitz leidet unter dem Asperger-Syndrom, also einer Form von Autismus, was ihm die Kommunikation mit anderen Menschen erschwert, und lebt recht vereinsamt in einem New Yorker Apartment (Max: „When I was young, I invented an invisible friend called Mr Ravioli.

My psychiatrist says I don’t need him anymore, so he just sits in the corner and reads.“). Bis er eines Tages einen Brief von der achtjährigen Mary aus Australien erhält, die ihn eher zufällig in einem Telefonbuch ausgewählt hatte, weil sie wissen will, ob in Amerika wie in Australien die Babies aus Biergläsern kommen.

Gleichzeitig erzählt sie auch von ihrem Leben allgemein und ihrer seltsamen Familie. Wir befinden uns im Jahr 1976 und da schrieben sich die Menschen eben noch Briefe. Daraus entwickelt sich eine langjährige, nicht ganz unproblematische Brieffreundschaft zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Menschen, die gleichzeitig Lebenshilfe und Freundschaft bietet, soweit das auf diesem Wege möglich ist.

Und auch wenn Mary und Max nur recht simpel animierte, karikaturhafte Knetfiguren sein mögen, die nicht allzu lebensnah aussehen, ist es erstaunlich, wie Elliot aus ihnen echte Charaktere macht, die mit ihren Problemen und Behinderungen lebendiger wirken als so mancher Schauspieler aus Fleisch und Blut, und deren Tragik vielleicht nicht vollkommen alltäglich ist, aber immer gut nachzuempfinden.

Gleichzeitig durchzieht MARY & MAX auch ein herrlich absurder Witz (Max: „It would be good if there was a Fat Fairy. She would be a bit like the Tooth Fairy but would suck out your fat.“), der sich weniger über die Unzulänglichkeiten der Hauptfiguren lustig macht, sondern eher unsere Vorstellung von Normalität in Frage stellt.

Und der natürlich auch daraus resultiert, dass sich ein achtjähriges Mädchen und ein 44-jähriger Mann auf einer ganz unterschiedlichen kognitiven Ebene befinden und die Welt mit anderen Augen sehen.

Entsprechend amüsant ist das fragende Vorantasten von Mary in Bezug auf die Welt der Erwachsenen und die Antworten, die sie darauf von Max bekommt. Sicherlich einer der schönsten Filme der letzten Jahre, warmherzig, skurril, traurig und urkomisch zugleich, der eine inhaltliche Tiefe besitzt, die man im ersten Moment nicht vermuten würde, wenn man den beiden knubbeligen Hauptfiguren das erste Mal begegnet, denen in der vorzuziehenden Originalfassung mit Philip Seymour Hoffman und Toni Collette genau die richtigen Sprecher zugeteilt wurden.

Neben diversen Hintergrund-Features über den Film gibt es auf der empfehlenswerten deutschen DVD auch noch Elliots exzellenten Kurzfilm HARVIE KRUMPET als Bonus.