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MARCH VIOLETS

Play Loud Play Purple / Big Soul Kiss / The Palace Of Infinite Darkness

Wer Mitte der Achtziger Wave-affin war und etwa als Gymnasiast seine Freistunden damit verbrachte, die Neuheitenfächer des örtlichen Plattendealers durchzublättern, stieß zwangsläufig auf THE MARCH VIOLETS. Schon optisch machten deren Releases klar, dass da eine Verbindung zu THE SISTERS OF MERCY bestand, die beiden ersten Singles der ebenfalls aus Leeds, UK stammenden Band waren auf deren Merciful Release-Label erschienen. Und auch die Besetzung mit dem Ersatz des Schlagzeugers durch einen Drumcomputer (ihrer hieß Dr. Rhythm) war eine frappierende Ähnlichkeit. Bei genauer Betrachtung allerdings stechen sowohl die Ähnlichkeiten wie die Unterschiede ins Auge. Wo die Sisters immer düster und bisweilen auch pathetisch wirkten, waren THE MARCH VIOLETS bissiger, punkiger, funkyer. Ende 1981 hatte sich die Band an der Uni von Leeds gegründet, Andrew Eldritch war ein Kommilitone, das famose „Religious as hell“ war 1982 die erste 7“ der Band auf dessen Label. Mit Rebirth gründeten THE MARCH VIOLETS dann bald ihr eigenes Label. Die erste Besetzung bestand aus Tom Ashton (gt), Laurence „Loz“ Elliot (bs), Simon „Detroit“ Denbigh (voc) und Rosie Garland (voc), später kam Cleo Murray als Sängerin dazu, Garland stieg aus, und mit dem famosen „Snake dance“ hatte die Band einen ersten Clubhit in der damals boomenden Goth-Szene. Mit „Natural History“ kam 1984 ein Album, das allerdings „nur“ die ersten vier Singles zusammenfasste. 1985 stieg Co-Sänger Denbigh aus, kurz vor einer US-Tour, wo der UK-Goth damals auch boomte, und in den USA erschien die Single-Compilation „Electric Shades“, und bald unterschrieb die Band beim Major London Records, nahm damals aber nie ein „richtiges“ Album auf, sondern nur Singles und 12“s, die verschiedentlich neu zusammengefasst wurden. Schon 1987 war die Band wieder Geschichte. 2007 gab es dann eine erste Reunion-Show unter Beteiligung von Denbigh, Garland und Ashton, man blieb weiter aktiv und veröffentlichte 2013 das Album „Made Glorious“ und 2015 „Mortality“. 2016 erlitt Denbigh einen Schlaganfall, die Band machte aber dennoch weiter, Rosie Garland und Tom Ashton holten sich den aus der L.A.-Goth-Szene der Achtziger stammenden William Faith (FAITH & THE MUSE, CONFLICT, THE BELLWETHER SYNDICATE) dazu. Nach einer lange Pause meldete sich die Band in genau dieser Besetzung schließlich 2022 zurück, arbeitet an einer Tour und neuem Studiomaterial. In diesem Kontext nun hat Jungle Records, wo auch schon früher Material der Band neu aufgelegt worden war, eine Rerelease-Kampagne gestartet, die quasi die gesamte Zeit von 1981 bis 1987 abdeckt. Zum einen gibt es die „The Palace Of Infinite Darkness“-5CD-Box, die aus folgenden Platten besteht: Auf „Play Loud Play Purple“ finden sich die „Complete Singles 1982-84“, also die Originalversionen. Diese Zusammenstellung, die im CD-Format 19 Songs enthält, gibt es auch separat als Doppel-LP mit 22 Songs, inklusive „Deep“ und „Walk into the sun“, die hier das erste Mal seit den Achtzigern wieder erhältlich sind, sowie drei Songs „from this century“. In der CD-Box folgt dann die „Play Loud Play Purpler“-CD, welche die damals beliebten langen 12“-Versionen enthält. Damals nervten mich die fast immer, heute goutiere ich sie. CD3 dann ist „Big Soul Kiss“ betitelt, enthält die „BBC Recordings 1982-1984“, also unter anderem Peel-Sessions. Davon wiederum gibt es eine ebenfalls erweiterte Doppel-LP-Version in gelbem Vinyl, die von 1982 bis 1986 reicht. Auf CD4 mit dem Titel „Infinite Darkness“ gibt es „unreleased rarities“, Live- und Studioaufnahmen aus den Jahren 1982 bis 1984, und CD5 „Silver Lining“ ist dann die Fortsetzung mit Aufnahmen von 1985 bis zur Auflösung 1987. Sehr schön ist das reich bebilderte Booklet mit Linernotes von Rosie Garland, die seit vielen Jahren schon auch als Schriftstellerin erfolgreich ist und in ihrem Text kritisch mit dem Begriff Goth umgeht. Ein sehr schön gemachtes Rerelease-Paket, spätestens jetzt sollte man THE MARCH VIOLETS (wieder)entdecken, die definitiv immer eine der variabelsten Bands aus diesem Kontext waren und durchweg stark abgeliefert haben. Unbedingt erwähnenswert: das bei allen Releases – damals wie heute – exzellente, grafische Artwork.