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MARISA ANDERSON / WILLIAM TYLER

Lost Futures

Mit seinen Platten auf Merge von 2013 und 2016, „Impossible Truth“ und „Modern Country“, hatte der aus Nashville stammende Gitarrist William Tyler, der gut zehn Jahre Mitglied von LAMBCHOP war und auch bei den SILVER JEWS mitwirkte, bei mir durchaus Eindruck hinterlassen, so wie er mit minimalistischen Mitteln Bluegrass und Blues interpretierte. Ein ähnliches technisches Können an der Gitarre wie Tyler besitzt auch Marisa Anderson, auf deren ungewöhnliches, im amerikanischen Folk verwurzeltes Gitarrenspiel ich das erste Mal bei ihrer letztjährigen Kollaboration mit DIRTY THREE-Schlagzeuger Jim White stieß. Auf „Lost Futures“ hat man es also mit zwei Musiker:innen zu tun, die einen eher unkonventionellen Zugang zu amerikanischer Traditionsmusik pflegen, bei der die Grenzen zwischen avantgardistischer Improvisation und konkret melodischen Americana-Elementen fließend sind. Der musikalische Dialog, der sich dabei zwischen Tyler und Anderson entspinnt, mag im ersten Moment eine eher trippige und wenig fassbare Drone-Qualität besitzen – tatsächlich könnte man diese Nummer bis zum Sankt-Nim­mer­leins-Tag so weiterspielen –, aber letztendlich entwickeln sich auch dabei Strukturen, die sich auf klassische Folk-Schemata zurückführen lassen. Ähnlich wie auf Tylers anderen Platten wird auf „Lost Futures“ virtuos Roots-Musik dekonstruiert und in einen faszinierenden neuen Sinnzusammenhang überführt.