Kathleen Hanna mag sich noch immer daran stören, von der US-amerikanischen Mainstreampresse in den frühen Neunzigern – also zu Zeiten des NIRVANA-bedingten Medienhypes um die alternative Musikszene in Bundesstaat Washington – zum Ober-Riot Grrrl auserkoren worden zu sein, ihre Wurzeln in der Riot Grrrl-Bewegung kann sie dennoch nicht verleugnen.
Zwar geht sie inzwischen nicht mehr so weit, wie in BIKINI KILL-Anfangstagen und taucht mit kaputten oder absichtlich nicht gestimmten Instrumenten im Studio auf (wer mehr wissen will, führt sich die Hanna-Doku „The Punk Singer“ zu Gemüte), gänzlich nach den Regeln der klassischen School of Testosteron-Rock spielt sie aber auch mit JULIE RUIN nicht.
„An manchen Stellen einer Performance will ich eben, dass meine Stimme bewirkt, dass das Publikum das Gefühl hat, seine Haut würde sich schälen“ – mit dieser Aussage von SLEATER-KINNEY-Frontfrau Corin Tucker dürfte Hanna sich uneingeschränkt identifizieren können.
Von der Zugänglichkeit und Tanzbarkeit von LE TIGRE, Hannas erster Post-BIKINI KILL-Band, ist „Hit Reset“ jedenfalls meilenweit entfernt. Lediglich „I decide“ könnte man gewisse Hit- und Ohrwurmqualitäten zugestehen.
Eine weitere Gemeinsamkeit, die sich BIKINI KILL und JULIE RUIN teilen, sind die in die Texte eingearbeiteten feministischen Botschaften. Diese brodeln allerdings nicht, wie damals, direkt an der Oberfläche, sondern sind locker fluffig in eine dicke Schicht aus Ironie und Sarkasmus eingepackt.
„Cause I can play electric guitar / While shaving my legs in a moving car“, jepp, Hardly Art-Labelmates CHASTITY BELT und TACOCAT lassen grüßen. Neben solchen und ähnlichen Kalauern scheinen manche Texte ganz Hanna-untypisch inhaltlich sehr viel persönlicher ausgefallen zu sein, einige auch ungewohnt kryptisch.
Auf die angekündigten Videoclips zum Album darf man in diesem Zusammenhang gespannt sein. Ja, richtig, man könnte mir an dieser Stelle vorwerfen, dass ich JULIE RUIN nur auf Kathleen Hanna reduziere, mit Kathi Wilcox, Sara Landeau, Carmine Covelli und Kenny Mellman aber noch vier andere Bandmitglieder an Bord sind.
Stimmt. Allerdings nur, weil Hanna sie in die Band hineinmanövriert hat. Das seit Ende 2009 existierende Projekt ist also tatsächlich ihre Kopfgeburt. Die instrumentale Vielseitigkeit der übrigen Bandmitglieder trägt aber wesentlich zum Abwechslungsreichtum des Albums bei und lässt Hannas zeitweise stark gewöhnungsbedürftige Spielereien mit ihrem aktuellen Lieblingstool Gesangseffektgerät schneller sacken.
In der Kurzfassung: „Hit Reset“ wütet ungehemmt in sämtlichen Spielwiesen alternativer Gitarrenmusik und schreckt dabei nicht vor Dissonanzen und Widersprüchen zurück. Und das ist nun mal nichts für harmoniebedürftige Weichflöten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Anke Kalau