Heute morgen noch wurden DR. FEELGOOD im Radio als „One Hit Wonder“ bezeichnet und sodann ihre Single „Milk and alcohol“ von 1979 gespielt. Nun muss man wohl über den „Sachverstand“ eines WDR-Musikredakteurs verfügen und die deutschen Hinterwäldler-Charts als Maß aller Dinge nehmen, um zu so einer Einschätzung zu gelangen und dabei zu übersehen, dass die Pub-Rocker aus dem Örtchen Canvey Island in der zweiten Hälfte der Siebziger in Großbritannien Dauergast in den Charts waren, ja sogar mit dem Live-Album „Stupidity“ 1976 bis auf Platz 1 vorstießen.
1971 gegründet, war die Band zu Beginn ein chaotischer Haufen von Freunden, die auf Spaß aus waren und sich mit dem damals grassierenden Prog-Rock langweilten. Ihr Ansatz war simpler, sie wollten einfach Spaß haben, und so entstand parallel zum Glam-Rock mit ihnen ein weiterer Vorläufer des Punkrocks, der Pubrock.
Ein erklärter Fan der Band war Joe Strummer, der mit seinen 101ERS vor THE CLASH in genau diesem Genre aktiv war, auch Glen Matlock von den SEX PISTOLS erinnert sich gerne an sie, und damit sind zwei Akteure und Bands genannt, derer sich der britische Filmemacher Julian Temple bereits in Dokus angenommen hat.
In seinem Bemühen, die Ursprünge von Punk zu dokumentieren, landete Temple somit bei DR. FEELGOOD, über die in dem Film jemand sagt „They were punk before punk“. In seiner gewohnten collagenhaften Manier kombiniert Temple in dieser Doku aktuelle Interview-Sequenzen (vor allem Ex-Sänger Wilko Johnson beeindruckt) mit alten Fotos und Filmaufnahmen von Canvey Island, Livemitschnitte und alte englische Gangsterfilme und schafft es so, spannend die Geschichte von ein paar Kleinstadt-Kids zu zeichen, die einfach ihr Ding machten.
Ach ja, der Filmtitel: Canvey Island, ein paar Kilometer außerhalb Londons an der Themse gelegen, war seit den 1930ern bis Ende der Siebziger ein wichtiger Raffinerie-Standort – und gleichzeitig Strandbad für Londons East-End.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #92 Oktober/November 2010 und Joachim Hiller