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IM GLASKÄFIG

In Zeiten vor dem Internet war Agustí Villarongas Spielfilmdebüt TRAS EL CRISTAL lange Zeit eine gesuchte Rarität, nicht zuletzt weil der Film als verstörendster Film aller Zeiten galt. Bei seiner Vorführung im Wettbewerb der Berlinale 1987 sorgte er zudem für einen handfesten Skandal, da die Organisatoren nach Sichtung einer Vorabversion die offizielle internationale Premiere absagten und der Film nur in kleinem Kreis gezeigt werden konnte.

Dennoch wurde TRAS EL CRISTAL von der Polizei beschlagnahmt, bis Diplomaten der spanischen Botschaft seine Herausgabe erzwangen. Für deutsche Verleiher war der Film danach natürlich gestorben.

Sicherlich kein guter Start für einen jungen Filmemacher, aber das Material, aus dem Kultfilme gemacht sind. Ich war jedenfalls froh, Ende der 90er mal eine nicht ganz billige VHS aus den USA in die Finger zu bekommen, in guter Qualität und mit englischen Untertiteln.

Eine lohnende Investition, denn TRAS EL CRISTAL ist vielleicht nicht das, was SAW-Fans heutzutage als erstrebenswert ansehen würden, aber dennoch eine immer noch höchst beklemmende Fusion aus Arthouse- und Exploitation-Kino, poetisch und albtraumhaft zugleich.

Damit stellte er sich in eine Reihe mit Filmen wie Pasolinis DIE 120 TAGE VON SODOM oder Liliana Cavanis THE NIGHT PORTER. Eine allegorische Verarbeitung faschistischer Machtverhältnisse, die auch immer stark mit Sexualität und Missbrauch verknüpft sind.

Vor einiger Zeit erschien der Film als IN A GLASS CAGE in den Staaten bei Cult Epics auf DVD in einer brauchbaren Fassung, jetzt kommt er tatsächlich auch mal in Deutschland bei Bildstörung heraus, mit einer „ab 18“-Freigabe, ungeschnitten, woran ich lange gezweifelt habe.

Eigentlich sollte es der erste Titel des Labels werden, aber da man sich noch um ein neues Master bemüht hatte, verzögerte sich die Veröffentlichung. Das Warten hat sich durchaus gelohnt, denn das anamorphe Bild ist um einiges schärfer und störungsfreier, wirkt allerdings von der Farbabstimmung auch etwas kühler als die Cult Epics-DVD.

Eine deutsche Synchro gab es nie und wurde auch nicht extra erstellt, was natürlich schon mal die Marktchancen etwas einschränkt. Ein Film für jedermann war TRAS EL CRISTAL aufgrund seiner Thematik sowieso noch nie.

Denn im Mittelpunkt steht hier ein ehemaliger KZ-Arzt namens Klaus (Günter Meisner) mit pädophilen Neigungen, der mit Kindern experimentiert und das auch immer detailliert dokumentiert hatte.

Auch im Exil in Spanien kann er nicht von seinen Neigungen lassen und wählt schließlich den Freitod, weil der Leidensdruck zu groß geworden ist, die Szene, mit der TRAS EL CRISTAL konkret beginnt.

Der Selbstmord misslingt und Klaus fristet sein Dasein fortan in einer Eisernen Lunge, versorgt von Frau und Tochter. Anstelle der erwarteten Krankenpflegerin steht irgendwann ein junger Mann namens Angelo vor der Tür, der Klaus davon überzeugt, ihn einzustellen, warum, stellt sich sehr schnell heraus.

Angelo ist allerdings eher ein Teufel als ein Engel, extrem fasziniert vom Bösen, der an den Erfahrungen des KZ-Arztes partizipieren will und ein sadistisches Spiel mit dem vom Täter zum hilflosen Opfer mutierten Klaus treibt.

Fast schon eine groteske Symbiose, da Angelo nun stellvertretend die Obsessionen von Klaus auslebt. Eine ähnlich verzerrte Opfer-Täter-Perspektive findet sich in gewisser Weise auch in THE NIGHT PORTER, nur dass es bei Villaronga dabei eine starke homoerotische Tendenz gibt (wie später auch in seinem Film EL MAR).

Cavani sieht ähnlich wie auch Pasolini die thematisierten sadomasochistischen Verhältnisse zwischen Mann und Frau als Widerspiegelung von Klassenstrukturen, und Sadomasochismus somit vor allem als politisches Phänomen.

Das spielt bei TRAS EL CRISTAL nur eine untergeordnete Rolle, der eher an der tiefenpsycholgischen Dimension von Angelos Streben nach (sexueller) Macht interessiert ist. Die Rache eines Machtlosen, der in dem gesellschaftlichen Vakuum der kleinen Hausgemeinschaft seine Herrscherrolle unkontrolliert ausleben kann.

Das inszeniert Villaronga teilweise wie einen klassischen Horrorfilm mit einem extremen Spiel aus Licht und Schatten, was der Score von Javier Navarrete noch betont, wobei der eigentliche Soundtrack des Films das ständige unangenehme Pumpen der Lungenmaschine ist.

Eine verstörende Reise in die Abgründe menschlicher Triebhaftigkeit, die trotz Themen wie Folter, Pädophile und der Ermordung von Kindern, nicht die sensationsgierige Schaulust des eher primitiven Exploitation-Kinos der 70er Jahre aufweist, wo ja ebenfalls gerne die im Dritten Reich begangenen Gräueltaten ausgeschlachtet wurden.

Wer Kino nicht als Form von Berieselung sondern als echte, nachhaltig Wirkung zeigende Erfahrung ansieht, kommt an TRAS EL CRISTAL eigentlich nicht vorbei. Ein lyrischer, kunstvoll gemachter Schocker, mit dem Bildstörung ein wirkliches Meisterwerk veröffentlicht hat, ergänzt durch einen Audiokommentar und ein Interview mit Villaronga.

Schade nur, dass der Mallorquiner mit seinen danach entstandenen Arbeiten nie so recht an TRAS EL CRISTAL anknüpfen konnte, auch wenn man in EL MAR von 2000 durchaus Parallelen erkennen kann, ohne dass der Film auch nur ansatzweise so exzessiv wäre.