HISTORY LESSON PART 1

Punk Rock in Los Angeles in 1984

1984 gab es keine Smartphones mit eingebauter Videokamera, keine semiprofessionellen Kameras für ein paar hundert Dollar/Euro, stattdessen kostete entsprechende Ausrüstung zigtausende und war auch noch klobig.

Aufgrund des sehr begrenzten Zugangs zu solch technischer Ausrüstung bzw. der Kosten ist die Menge an Bewegtbilddokumenten aus der frühen Punk- und Hardcore-Szene sehr begrenzt, abgesehen davon, dass viele Bänder von damals kaum überlebt haben, und wenn, sich nur in wenigen Fällen jemand die Mühe macht, dieses Material vom analogen Band ins Digitalformat zu übertragen.

Dave Travis hatte 1984 das Glück, dass sein Vater Kameremann für NBC und CBS war, und der überließ ihm eine alte Kamera, mit der der Fünfzehnjährige in Los Angeles auf Punk-Konzerte ging.

Bis 1997 hielt Daves Leidenschaft an, dann packte er die Kamera weg, verdiente sein Geld mit einem Tonstudio und Videoschnitt. 2000 verabschiedete er sich vorerst ins „richtige“ Leben, wurde Lehrer – und entdeckte vor einer Weile erneut seine Leidenschaft für seine Konzertmitschnitte.

Er begann sein Archiv zu sichten und ausgewähltes Material zu digitalisieren, und als erstes Ergebnis liegt nun Teil 1 seiner „History Lesson“ vor (und ja, der Mann ist Geschichtslehrer, „History Lesson“ ist aber auch der Titel eines MINUTEMEN-Songs vom Debütalbum „The Punch Line).

Je drei komplette Livesongs von MEAT PUPPETS, MINUTEMEN (ok, hier sind es fünf – unglaublich, wie D. Boon Gitarre spielte!), TWISTED ROOTS (eine mir bislang unbekannte Band mit Paul Roessler, SCREAMERS) und REDD KROSS gibt es zu sehen, in teilweise zwar sehr rauher Bild- und Tonqualität, doch man hat nie das Gefühl, hier mit minderwertigem Material abgespeist zu werden.

Im Gegenteil, die Unperfektheit intensiviert den Eindruck. Unglaublich die Livepower der wirren Drogenfreaks MEAT PUPPETS, beeindruckend die Bühnenpräsenz von D. Boon und Mike Watt von MINUTEMEN, TWISTED ROOT waren eher eigenwillig, REDD KROSS waren/sind eine Bank.

Doch die Livemitschnitte sind nur der eine Teil dieser Geschichtsstunde, denn Travis interviewte die Beteiligten auch, damals und dann erneut in den Neunzigern, und er hat geschickt wirklich interessante, relevante Passagen ausgesucht, Längen und Langeweile kommt hier nicht auf.

Beeindruckt haben mich Mike Watts Erzählungen über seine Zusammenarbeit mit seinem Freund D. Boon, der Ende 1985 bei einem Autounfall ums Leben kam), Paul Roesslers Erläuterungen zur L.A.-Punkszene sind erhellend, Cris und Curt Kirkwoods Drogenbekenntnisse ebenso – und interessant die Ausführungen von Steve McDonald zur SST-Szene und warum sie nicht zu selbiger gehören wollten.

Ich bin gespannt, was Travis noch an Material ausgräbt, denn die L.A.-Szene der Achtziger war und ist bis heute prägend für die gesamte Punk-Szene – und ich würde mir wünschen, es gäbe vergleichbares Material über die deutsche Punkszene jener Jahre.