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KETTCAR

Gute Laune ungerecht verteilt

KETTCAR sind wie ein guter Freund. Einer, der in einer anderen Stadt wohnt, deshalb hört man eine ganze Weile nichts von ihm. Aber wenn er sich wieder meldet, ist es, als sei er nie weggewesen. KETTCAR sind keine Band, die ständig in den sozialen Medien auf sich aufmerksam macht oder in Talkshows abhängt. Lebenszeichen gibt es nur, wenn es wirklich etwas zu erzählen gibt. Zum Beispiel jetzt vom sechsten Studioalbum „Gute Laune ungerecht verteilt“. Das fügt sich so nahtlos in die Diskografie der Hamburger ein wie Erling Haaland in die Mannschaft von Manchester City. Angefangen hat alles vor 22 Jahren mit dem Debütalbum „Du und wieviel von deinen Freunden“. Weil das keiner veröffentlichen will, gründen Sänger und Gitarrist Marcus Wiebusch und Bassist Reimer Bustorff zusammen mit Thees Uhlmann von TOMTE ihr eigenes Label Grand Hotel van Cleef. So berichtet es die Legende. Wiebusch und Bustorff sind beide im Punk sozialisiert, haben vorher bei ... BUT ALIVE bzw. RANTANPLAN gespielt. Gemeinsam mit Gitarrist Erik Langer und Keyboarder Lars Wiebusch bildet sich eine konstante Besetzung. Nur Drummer Frank Tirado-Rosales wird 2010 durch Christian Hake ersetzt. Es folgen die Alben „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ (2005), „Sylt“ (2008), „Zwischen den Runden“ (2012) und „Ich vs. Wir“ (2017), die kommerziell ziemlich erfolgreich sind. Das textlastige Konzept der Band funktioniert bestens. Die Songs wirken fast schon wie Kurzgeschichten. Marcus Wiebusch perfektioniert seine Kombination aus Sprechen und Singen. Vorläufiger Höhepunkt ist der Song „Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ über einen Fluchthelfer für DDR-Bürger. Die zwölf neuen Stücke knüpfen daran nahtlos an. Songs über Fremdenfeindlichkeit, Alltagsrassismus, soziale Ungerechtigkeiten oder Cancel Culture, die große Themen unserer Zeit aufgreifen. Immer zeitgemäß verpackt in popkulturelle Zusammenhänge. Ungerechte Bezahlung wird etwa anhand der Figur des Paketboten Doug Heffernan aus der US-Sitcom „King of Queens“ thematisiert. Marcus Wiebusch liefert mit Zeilen wie „Mein Herz ist ein totgeschlagenes Robbenbaby“ Slogans für die Ewigkeit. Großes Kino mit kleinen Worten. Bassist Reimer Bustorff ist im Windschatten von Wiebusch derweil zum gleichberechtigten Songwriter bei KETTCAR gereift. Die Hälfte der Lieder auf „Gute Laune ungerecht verteilt“ stammt von ihm. Zum Beispiel „München“, der wahrscheinlich härteste Song, den die Band bislang geschrieben hat. Fast schon ein Gewitter. Darüber hinaus bieten die zwölf neuen Stücke alles, was ein gutes KETTCAR-Album braucht: intime Akustik-Momente, forsche Bläsersätze, poppige Chöre und krachigen Indierock. Gute Freunde liefern einfach.