Foto

TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM

Gefühle

Die vier Girls aus Berlin haben den wahrscheinlich familienunfreundlichsten Namen überhaupt gewählt. Deshalb lassen sie auch die offizielle Abkürzung THE TCHIK gelten. Der Bandname ist allerdings kein Zufall, denn Provokation ist Teil des Programms. Schon die ersten drei Alben, „Jung, talentlos und gecastet“ (2010), „Mama ich blute“ (2013) und „Bitchlifecrisis“ (2019), waren eine Kriegserklärung an Machos, Konventionen und Schubladendenken. Angefangen hat alles in der Elektroszene. Jürgen Laarmann, Gründer der Techno-Zeitschrift Frontpage, unterstützte die Band seinerzeit, das Debüt kam sogar bei Universal raus. Die Wege trennten sich aber schnell wieder und die Crackhuren heuerten beim Berliner Punklabel Destiny Records an. TERRORGRUPPE-Sänger Archi Alert produzierte die nächsten beiden Alben der Band. Über die Jahre hat sich die Besetzung um Luise Fuckface mehrmals geändert. Zwischendurch war sogar Nura als Tänzerin an Bord, die später Rap-Karriere mit dem Duo SXTN gemacht hat. Mit Album Nummer vier sind Luise Fuckface und Co. bei Bakraufarfita Records aus Berlin untergekommen. „Gefühle“ heißt die Scheibe und rein optisch wirkt sie wie ein Groschenroman vom Kiosk nebenan. Die vier Crackhuren kuscheln in einem rosa Flokati-Meer. Am textlichen Konzept hat sich wenig geändert. In „Zurück in die Gosse“ feiern sie ihre Hood im Plattenbauviertel, „Bewerte mich“ schimpft über die Lust der Menschen, sich gegenseitig zu beurteilen, und „Bau mir nen Schrank“ dreht den Spieß um, was Männer betrifft. „Dein Aussehen ist wichtig, nicht so dein Charakter“, schmettert Luise über poppige Elektrobeats. „Ich hab gesagt, du hältst die Fresse, wenn ich Springreiten gucke“, lautet meine Lieblingszeile. Es gibt aber auch romantische, fast gefühlsduselige Songs wie „Du könntest gehen“ oder der Hiddentrack über „Eisbären“. Im Song „Punkrock hat mir mein Herz gebrochen“ greifen THE TCHIK die aktuelle #PunkToo-Diskussion auf und reihen sich ein in die Rufe nach Veränderung. THE TCHIK stellen die Grundsatzfragen: Was ist Punk? Wer definiert das? Wie lauten die Kriterien? Gitarren? Look? Attitüde? „Punk ist, was du draus machst“, lautet die Antwort der Berlinerinnen. Deshalb ist ihre Musik auch kein klassischer Punkrock mit tiefergelegten Gitarren und drei Akkorden. Der Sound bewegt sich zwischen den vorlauten Organen von TIC TAC TOE, Kirmestechno und NDW. Vernichtend war die Kritik in Ox-Ausgabe #109 und ehrlich gesagt auch oberflächlich. „Die sind wirklich scheiße, die können nix, werden auch nix“, schrieb Kollege Carsten Vollmer. Mit „Gefühle“ beweisen THE TCHIK das Gegenteil. Die Berlinerinnen sind auf dem besten Weg, die weibliche Antwort auf EGOTRONIC zu werden.