Die von 1991 bis 1998 aktive Chicagoer Band GASTR DEL SOL um Jim O’Rourke und David Grubbs war einen kurzen Moment lang mal eine Art Post-Rock-Supergroup. Während O’Rourke erst 2000 Mitglied von SONIC YOUTH wurde – dafür war er in seiner Karriere Gastmusiker auf zahllosen Platten und an vielen anderen Kollaborationen beteiligt –, war Grubbs ursprünglich Mitglied von SQUIRREL BAIT und BASTRO. Erstere kamen aus Louisville, Kentucky und galten als Post-Hardcore-Band, aus der dann die wegweisenden SLINT entstanden. Anschließend spielte Grubbs bei BASTRO zusammen mit John McEntire und Bundy K. Brown, die dann Mitte der 1990er Jahre mit TORTOISE auch hierzulande einen kleinen Post-Rock-Hype auslösten. Davon konnten das GASTR DEL SOL-Debüt „The Serpentine Similar“ von 1993 und der Nachfolger „Crookt, Crackt, Or Fly“ aber noch nicht profitieren, auch wenn an dem Debüt die BASTRO-Mitglieder Bundy K. Brown and John McEntire beteiligt waren. Eigentlich kann man bei GASTR DEL SOL schon gar nicht mehr von Post-Rock sprechen, denn der avantgardistische Ansatz von O’Rourke und Grubbs war Lichtjahre entfernt von konventionellen Rockstrukturen. Im Gegensatz zu vielen anderen schwergängigen avantgardistischen Versuchen, Rockmusik neu zu denken, klangen GASTR DEL SOL mit ihrer minimalistischen Mischung aus Ambient-Elektronik, folkigen Gitarrenklängen sowie Jazz- und Klassik-Elementen deutlich zugänglicher, zuletzt sogar regelrecht poppig. Bei Drag City, wo auch die meisten GASTR DEL SOL-Platten veröffentlicht wurden, erschien jetzt die Doppel-CD und -LP „We Have Dozens Of Titles“ mit insgesamt zwölf unveröffentlichten Live-Aufnahmen und anderen raren Studiotracks, die einen sehr guten Eindruck von dieser faszinierenden und unterbewerteten Band vermitteln, deren Umgang mit Noise und Melodik vor allem in den längeren instrumentalen Passagen eine ungemeine Intensität und hypnotische Qualität erreicht.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #30 I 1998 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #71 April/Mai 2007 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #24 III 1996 und Thomas Kerpen
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