Schon im ersten Satz zu dieser Besprechung könnte man zu Superlativen ausholen, und das zu Recht, denn Ennio Morricone gehört zu den größten Filmkomponisten des 20. Jahrhunderts. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass der Mann für über 500 Filme die Musik geschrieben hat, darunter reihenweise Klassiker.
Darunter sind natürlich die Filme Sergio Leones, mit denen seine Musik untrennbar verknüpft ist, wie mit dem Italowestern ganz allgemein, neben den Filmen von Mario Bava oder Dario Argento.
Die Arbeit Morricones war aber nicht nur auf Europa beschränkt, auch Regisseure wie Brian De Palma oder John Carpenter schmückten sich mit seiner Musik, eine schier endlose Liste, was es für den Connaisseur von Morricones Werk zu einer echten Geduldsprobe werden lässt, jede Facette dieses Mannes zu erfassen, der sich natürlich auch gerne mal selbst zitiert und sich in seinen raren Interviews eher bescheiden gibt.
Und so gibt es auch unendlich viele mal mehr, mal weniger erfreuliche Zusammenstellungen seines Werks, die sich aber oft auf die eher offensichtlichen Sachen konzentrieren, oder womöglich noch vom Stadtorchester Unterjochheim nachgespielt wurden, da kann man schon mal leicht den Überblick verlieren.
Was die Welt also als letztes braucht, ist eine weitere Sammlung mit Morricone-Kompositionen, und ausgerechnet Mike Patton, der Maestro in Sachen musikalischer Unangepasstheit, bringt genau so was auf seinem Label heraus.
Warum, fragt man sich? Die Antwort findet sich bereits im Titel der Compilation, denn Patton hatte hier nicht etwa die hübschen Melodien des Meisters im Auge, sondern eine für viele Leute ungewohnte Seite von Morricone, der immer eine starke Verbindung zum Jazz hatte, und gerade in seiner Arbeit in den 60ern und 70ern gibt es erstaunlich experimentelle und eben dissonante Klänge.
Genau die hat Patton hier bei den insgesamt dreißig Tracks herausgefiltert, die überwiegend aus den 60er und 70ern stammen, und vom italienischen Label Dagored lizensiert wurden, die in den letzten Jahre einige rare Soundtracks von Morricone wieder zugänglich machten.
Darunter frühe Giallos wie "L'Uccello Con Le Piume Di Cristallo" und "Il Gatto A Nove Code" von Dario Argento oder "Una Lucertola, Con La Pelle Di Donna" von Lucio Fulci, aber auch der Agententhriller "Il Serpente" von Henri Verneuil, neben einigen eher unbekannten Filmen.
Das Bemerkenswerte an dieser wirklich nicht ganz einfachen und eher anstrengenden Compilation - wer hätte bei Patton auch anderes erwartet - ist, dass sie deutlich aufzeigt, wo Patton seine persönlichen Einflüsse bei Morricone sieht, und wie gut sie sich aufgrund einer wirklich durchdachten Auswahl musikalisch in das Restprogramm von Ipecac einfügt, so als ob Morricone diese Stücke extra dafür aufgenommen hätte.
Easy Listening ist das sicher nicht, aber eine höchst atmosphärische Angelegenheit, wenn man sich denn auf diese Collagen aus jazziger Improvisation und stöhnenden und kreischenden Frauenstimmen einlassen will.
Frage ist nur, an welche Klientel genau sich nun diese Platte richtet, denn der Morricone-Fan wird das meiste davon sicher schon besitzen, und will wahrscheinlich genau diese Tracks nicht hören, und für Neulinge ist das wirklich harter Tobak, da bleibt wohl nur der typische Ipecac-Kunde mit Sinn für möglichst kranke Sounds.
Die Linernotes hat übrigens John Zorn verfasst, der sich mal ziemlich ungeschickt an Coverversionen von Morricone versucht hatte. Eine exzellente, in sich stimmige Zusammenstellung, aber eine, die man sicher nicht täglich anhören wird.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #115 August/September 2014 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #107 April/Mai 2013 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #109 August/September 2013 und Thomas Kerpen