Georges Rémi, der als Hergé die französischsprachige und westeuropäische Comicszene entscheidend prägte, ist in den vergangenen Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Nicht ohne Grund, wie die Szenarien von José-Louis Bocquet und Jean-Luc Fromental – zeichnerisch von Stanislas Barthélémy in Szene gesetzt – nicht verschweigen. Zwar thematisieren sie den mittlerweile bereits ausgiebig ausgeschlachteten Hauptkritikpunkt des Rassismus kaum, bringen aber sehr wohl Hergés Verhaftung als Kollaborateur ins Spiel. Tatsächlich blieben Hergés Zeichnungen überwiegend unpolitisch, seine Strips wurden allerdings während der Besatzung in „Le Soir“ veröffentlicht, dem Sprachrohr der Nazis. Auch illustrierte er 1940 Robert de Vroylandes antisemitisches Pamphlet „Fables“. Antisemitisch überzeichnete Charaktere finden sich auch in „Tim und Struppi“-Abenteuern aus dieser Zeit. Eine Bestrafung wäre also nicht gänzlich ungerechtfertigt gewesen, dank Hergés enormer Popularität wurde letztlich aber davon abgesehen. Auch nicht gut weg kommt Hergé im Umgang mit Frauen und seinen eigenen Mitarbeitern. Bocquet und Fromental picken sich hier beispielhaft einzelne Episoden und Stationen aus Georges Rémis Leben heraus, die sie zu kleinen, aufschlussreichen Kurzgeschichten ausarbeiten, eine allumfassende Biografie darf man aber nicht erwarten. Carlsen bringt mit diesem Band bereits die dritte überarbeitete Neuausgabe heraus, in Frankreich und Belgien sind sogar bereits fünf verschiedene Editionen erschienen. Diese Ausgabe entspricht der im französischsprachigen Original 2017 aufgelegten, um Erläuterungen, Illustrationen und neue Episoden erweiterten Edition.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #157 August/September 2021 und Anke Kalau