Bis zu seinem Tod im Jahr 2010 hat es der französische Regisseur Claude Chabrol auf stattliche 73 Filme gebracht. Chabrol gilt zwar als Wegbereiter der Nouvelle Vague, dürfte aber eher für seine Demaskierung der heilen Fassade des Bürgertums bekannt sein, hinter der sich unangenehme menschliche Abgründe verbergen.
Augenscheinlich waren viele Filme Chabrols von Hitchcock beeinflusste Thriller, allerdings versehen mit einer sozialkritischen Tendenz und einer humanistischen Botschaft. Dazu gehört auch „Der Schlachter“ („Le boucher“), dessen Titel eine Blutrünstigkeit vermuten lässt, die der Film aber letztendlich nicht besitzt.
Auch die grauenhafte Entdeckung, die der Klappentext an erster Stelle erwähnt, wird erst nach 45 Minuten gemacht, als die Lehrerin einer Kleinstadt auf einem Schulausflug eine Frauenleiche findet und daneben ein Feuerzeug, das ihr neu gewonnenes Vertrauen in zwischenmenschliche Beziehungen schwer erschüttert.
Bis dahin erlebt der Zuschauer, wie der durch seine Erfahrungen im Indochinakrieg schwer traumatisierte Schlachter Popaul versucht, besagter Lehrerin den Hof zu machen. Dabei dürfte „Der Schlachter“ kaum heutigen Sehgewohnheiten und Erwartungen an Spannungskino gerecht werden.
Denn das der Geschichte innewohnende Grauen entfaltet sich bei Chabrol auf sehr behutsame Weise, um den Zuschauer dann umso verstörter und erschütterter zurückzulassen, da man gezwungen wird, ähnlich wie in Michael Powells brillantem „Peeping Tom“ von 1960, Empathie für ein „Monster“ in Menschengestalt zu empfinden.
Sicherlich einer von Chabrols gelungensten Filmen, eine ausgewogene Mischung aus Psycho-Thriller und sensibler Charakterstudie, der auf der vorliegenden DVD leider mit einem recht schwammigen wie unruhigen und insofern nicht völlig zufriedenstellenden Bild daherkommt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Thomas Kerpen