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DER PROZESS

Der Kritiker von Welt streut bei seinen Rezensionen gerne mal das Attribut „kafkaesk“ ein, oft ohne genau zu wissen, was er eigentlich genau damit meint, geschweige denn ein Werk von Franz Kafka gelesen zu haben – habe ich auch nie, trotz gymnasialer Halbbildung.

Wenn man sich allerdings Orson Welles’ DER PROZESS anschaut, die Verfilmung von Franz Kafkas „Der Process“ – neben „Der Verschollene“ und „Das Schloss“ einer von drei unvollendeten und postum erschienenen Romanen – bekommt man ein gutes Gefühl dafür, was denn das sein könnte, dieses „kafkaesk“.

Denn der hier im Mittelpunkt stehende Protagonist Josef K. wird eines Morgens verhaftet, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein, darf sich aber dennoch weiter frei bewegen und seiner Arbeit nachgehen.

Vergeblich versucht er daraufhin herauszufinden, weshalb er angeklagt wurde und wie er sich dafür rechtfertigen könnte. Stattdessen wird er mit einem mysteriösen Gericht konfrontiert und verirrt sich in dem albtraumhaften Labyrinth einer surrealen Bürokratie, und jeder, dem er begegnet, auch einige Frauen, die ihm seltsame Avancen machen, scheint mit diesem übermächtigen, nicht greifbaren Apparat in Verbindung zu stehen, selbst sein Rechtsanwalt.

Das Abdriften von K. in Paranoia und Irrsinn ist damit vorprogrammiert, und schließlich ergibt er sich seinem Schicksal. Ebenso wenig wie K. bekommt auch der Zuschauer Antworten auf das Warum dieser erschreckenden Justizposse, bei der der Mensch schemenhaften dunklen Mächten vollkommen ausgeliefert ist, in diesem Fall einer menschenfeindlichen zynischen Bürokratie.

Ein Gefühl, das wohl jeder nachvollziehen kann. Welles’ nahm zwar kleinere Veränderungen an Kafkas Geschichte vor, behielt aber den grundsätzlichen Ablauf der Handlung bei. Beeindruckend ist auf jeden Fall, wie er hier – ähnlich wie schon in IM ZEICHEN DES BÖSEN – mit dem starken Kontrast zwischen Licht und Schatten spielt und seinen düster-expressionistischen Schwarzbildern eine selten gesehene Albtraumhaftigkeit verleiht. Hinzu kommen die irreal wirkenden Kulissen, darunter ein stillgelegter Bahnhof in Paris, mit denen Welles ein Labyrinth aus Räumen und Gängen schuf, in dem sich sein Protagonist ebenso wie der Zuschauer kaum noch zurechtfindet, was kontrastiert wird durch Außenaufnahmen von menschenleeren trostlosen städtischen Randbezirken.

Wer Welles für ein verkanntes Genie der Filmgeschichte hält, bekommt mit DER PROZESS einen deutlichen Beleg dafür, ein wirklich einzigartiges Werk, das Kafkas Vorlage vielleicht inhaltlich nichts wirklich Essentielles hinzufügen kann, aber das Ganze in atemberaubende Bilder übersetzt, die man so schnell nicht wieder vergisst.

Deutlich geprägt von DAS CABINET DES DR. CALIGARI und später selbst ein starker Einfluss für Terry Gilliams BRAZIL. Neben einem großartigen Anthony Perkins als K. tauchen hier auch noch Orson Welles selbst, Jeanne Moreau und Romy Schneider auf.

Arthaus hatte den Film bereits Ende letzten Jahres als schön aufgemachte Doppel-DVD veröffentlicht, in kompletter Form mit dem von Welles selbst gesprochenen Prolog, in exzellenter Bild- und Tonqualität, offenbar basierend auf einem französischen Master.

Allerdings weisen die zusätzlichen, nie deutsch synchronisierten Stellen nur ziemlich unvollständig übersetzte Untertitel auf. Auf der zweiten Disc ist dann noch die 1995 entstandene, sehenswerte Dokumentation ORSON WELLES: THE ONE-MAN BAND in Spielfilmlänge enthalten.