Auf gewisse Weise ist es ein Skandal, dass „Der Leichendieb“ von Robert Wise, die hervorragende Adaption einer Kurzgeschichte von Robert Louis Stevenson aus dem Jahr 1884, mit den beiden beiden Horrorfilm-Ikonen Bela Lugosi und Boris Karloff als Darsteller, in Deutschland auf VHS und DVD nur in einer um einige Minuten gekürzten Version erschien. Das erste Mal wurde „Der Leichendieb“ 1971 im Rahmen der ZDF-Gruselfilmreihe „Der phantastische Film“ gezeigt, besitzt dementsprechend nur eine mittelprächtige TV-Synchronisation, durch die gerade im Fall von Boris Karloff viel von der Intensität der Originalfassung verloren geht. Anscheinend wurde in Deutschland die britische Kinofassung veröffentlicht, in der einige Gewaltszenen zensiert und fast alle Bezüge zu den historischen Figuren Burke und Hare entfernt wurden. Burke und Hare machten in den Jahren 1827 und 1828 in Edinburgh von sich reden, weil sie 16 Morde begingen und die Leichen dann an die örtliche Medizinische Hochschule für Forschungszwecke verkauften, denn gesetzliche Bestimmungen im Vereinigten Königreich erschwerten eine legale Beschaffung von Anatomieleichen. Burke und Hare wurden zur klassischen Vorlage für die Grabräuber der Horrorfilm-Geschichte und standen auch für Karloffs skrupellose Figur John Gray in „Der Leichendieb“ Pate, der 1831 in Edinburgh Dr. MacFarlane mit Leichen versorgt, eigentlich aber Kutscher ist. Produziert hat dieses atmosphärische und düstere Frühwerk von Wise („Bis das Blut gefriert“) Val Lewton, und so handelt es sich um einen deutlich subtileren Vertreter des Horrorfilms, in dessen Mittelpunkt der Konflikt zwischen den gegensätzlichen Kontrahenten MacFarlane und Gray steht. Die aktuell erschienene Blu-ray besitzt eine ausgezeichnete Qualität und ist endlich mal ungeschnitten, hinzu kommt noch etwas Bonusmaterial und ein Booklet.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #164 Oktober/November 2022 und Thomas Kerpen