DAS SEXLEBEN SIAMESISCHER ZWILLINGE

Irvine Welsh

„Die amerikanische Version von Trainspotting“ sei Irvine Welshs neues Buch, schreibt der britische The Telegraph, und man fragt sich, welches Buch der dortige Rezensent gelesen hat. Mit Sicherheit nicht „Das Sexleben siamesischer Zwilling“, in dem es nur am Rande genau darum hat: als parallele Hintergrundhandlung läuft der Medienhype um die dramatische anstehende Trennung eines zusammengewachsenen Zwillingspaares.

Mit Welshs Trilogie „Skagboys“, „Trainspotting“ und „Porno“ hat der neue Roman des für seine drastische, direkte Sprache bekannten Schotten wirklich rein gar nichts zu tun. Bis zur Hälfte ist dieser eine (vermeintlich) recht dröge Story: Lucy Brennan ist Fitnesstrainerin in Miami, hetzt ihr verhasste fette Kundinnen über Laufbänder, ist besessen von ihrem eigenen perfekten Körper und gesunder Ernährung (schade, dass Welsh die Chance verpasst hat, sie zur Veganerin zu machen) – und lernt durch einen medial massiv aufbereiteten Akt der Zivilcourage die übergewichtige Künstlerin Lena Sorenson kennen.

Die straighte, rationale Lucy macht es sich zur Aufgabe, der smarten, aber traumatisierten Lena zu Normalgewicht zu verhelfen, und von einem Satz zum anderen kippt die harmlose Story in eine, die auch Bret Easton Ellis zu Ehre gereichen würde.

Typisch Welsh ist die drastische Sprache, die schonungslose Direktheit bei der Beschreibung extremer Situationen, die detailreiche, meinungsstarke, farbige Sprache, mit der die seltsame Parallelwelt von Miami beschrieben wird, die Ernährungsobsession und der extreme Körperkult der Hauptakteurin.

Anders als bei den Akteuren seiner Trilogie ist Welsh hier aber beinahe schon nett, für Lucy und Lena gibt es Hoffnung ... Lesen!