CONTROL

Das Kreuz mit den Biopics ... Nachdem in den letzten Jahren bei fast jeder zweiten angesagten neuen Indierockband ein Querverweis auf JOY DIVISION erfolgte, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Ian Curtis' tragische kurze Lebensgeschichte den Weg auf Celluloid fand.

Zumindest suchte man mit Fotograf Anton Corbijn einen Regisseur aus, der mit dem zeitlichen Kolorit des Manchester Ende der 70er vertraut war und dafür die richtigen, schwarzweißen Bilder finden konnte, auch wenn er die hässliche Industriestadt im Nordwesten Englands fast schon wieder überästhetisierte, die zu dieser Zeit geprägt wurde von Hochhaussiedlungen und sozialen Problemen.

Basis war Deborah Curtis' Autobiographie "Touching From A Distance" und damit nicht gerade eine der objektivsten Quellen für die Lebensgeschichte ihres Ehemannes, der sie schamlos betrogen hatte und sich schließlich feige aus der Verantwortung für Frau, Kind und Band stahl, indem er sich im Mai 1980, zwei Tage vor der geplanten ersten Amerika-Tour von JOY DIVISION, also vor dem möglichen kommerziellen Durchbruch, in seinem Haus in Macclesfield bei Manchester erhängte - die Faktenlage, die mittlerweile jedem bekannt sein dürfte.

"Control" ist bestimmt nicht der schlechteste Film aller Zeiten, dafür ist Corbijns Sinn für eine stringente Ästhetik zu ausgeprägt, und auch Hauptdarsteller Sam Riley (der in Michael Winterbottoms "24 Hour Party People" noch Mark E.

Smith verkörpert hatte) war keine schlechte Wahl für Curtis, der in den Momenten des Films, wo es konkret um Musik geht, den manischen Sänger wirklich zum Leben erweckt und spürbar macht, worin die Faszination dieser Band lag.

Woran er allerdings krankt, ist letztendlich die Entzauberung eines Mythos', der bei Corbijn zu einem seifenoperhaften Ehedrama banalisiert wird, wo die Musik immer weniger eine Rolle spielt, stattdessen Curtis' gesundheitliche Probleme in den Mittelpunkt rücken und das Hin und Her zwischen Frau Deborah und Geliebter Annik Honoré, deren Rollen auch noch fürchterlich schlecht besetzt wurden.

Während Alexandra Maria Lara als hübsche Französin nicht mehr als ein "Sweet Nothing" ist, geht einem Samantha Morton als graue Maus und ihrem weinerlichen Getue dezent auf die Nerven, auch wenn manche Leute permanent ein Hohelied auf ihre schauspielerischen Fähigkeiten anstimmen.

Schließlich ergeht sich Corbijn in einem zerdehnten letzten Akt, wo Curtis' Selbstmord übertrieben in die Länge gezogen wird, und wo "Control" zur reinen Spekulation wird bezüglich des zerrissenen Innenlebens seiner tragischen Hauptfigur.

Wenn ich sehr hart mit Corbijns Film ins Gericht gehe, dann hat das sicher damit zu tun, dass die Musik von JOY DIVISION Teile meiner Adoleszenz extrem geprägt hat. Als man damals das erste Mal eine Platte wie "Unknown Pleasures" in den Händen hielt, wusste man nichts über diese Band, geschweige denn, wie die Mitglieder aussahen oder was ihre Geschichte war - eine Platte, um die sich ein Mythos rankte und die etwas monolithisches an sich hatte, alleine schon durch ihr bizarres Artwork.

Mit der Zeit erfuhr man natürlich immer mehr über die Band, und der Tiefpunkt war dann sozusagen "Touching From A Distance", wo der Rock'n'Roll-Märtyrer sich als Büroangestellter entpuppte, der früh verheiratet war und zwischen Frau, Kind, Band und den Problemen mit sich selbst zerrieben wurde und daran schließlich zerbrach - nicht gerade der Stoff, aus dem Idole der Jugend geschnitzt sind.

Ein Jim Morrison war Curtis eindeutig nicht, der Oliver Stone für seinen Film "The Doors" natürlich eine dankbarere Geschichte lieferte, was ja auch für Johnny Cash und James Mangolds "Walk The Line" gilt.

Deshalb bin ich mir nicht ganz sicher, was man tatsächlich mitnimmt, wenn man "Control" gesehen hat, denn das Einzige, was letztendlich Bestand hat, ist die Musik von JOY DIVISION, das transportiert der Film trotz seiner eklatanten Schwächen immer noch sehr gut, aber er liefert einem darüber hinaus nichts, was der besondere Sound der Band zwischen Punk und New Wave beim Anhören ihres spärlichen Gesamtwerks nicht auch bewerkstelligen könnte.

Und letztendlich bekommt man hier nur Fragen beantwortet, die man gar nicht gestellt hat, und das auch noch völlig unzureichend. Corbijn sagt selbst, dass er keinen Musikfilm machen wollte - die damalige Musikszene Manchesters wird in Winterbottoms "24 Hour Party People" auch viel besser beleuchtet -, sondern einen eher persönlichen Film, aber das hat leider nur dazu geführt, dass "Control" nicht mehr als ein durchschnittliches Drama geworden ist, das eigentlich nur für Menschen von Bedeutung sein kann, die rein gar nichts über diese Band wissen, aber warum sollten ausgerechnet die sich für diesen Film interessieren? Capelight hat "Control" jetzt in einer ansprechenden Special Edition veröffentlicht, die einen Audiokommentar von Anton Corbijn enthält (der ist auch der ebenfalls erhältlichen Single Edition enthalten), auf einer zweiten Disc dann den üblichen Bonus-Kram wie Making Of und Darsteller-Interviews, neben den ungekürzten Performance-Szenen der Film-Band und dem von Corbijn gedrehten JOY DIVISION-Videos von "Atmosphere", das allerdings erst 1988 anlässlich der Best-Of-CD "Substance" entstand.

Und man kann jedem nur raten, den Film im Original anzuschauen, denn die deutsche Synchro lässt doch mal wieder schwer zu wünschen übrig. (5)