Yishai Sweartz von TOMORROW’S RAIN aus Tel Aviv, die 2020 eine endzeitliche Version von „The weeping song“ von Nick Cave eingespielt haben, und Mona Mur thematisieren die Geschichte Tausender von Juden in einem Ghetto in der belarussischen Kleinstadt Baranawitschy in der damaligen deutschen Besatzungszone, denen man 1941 zunächst so genannte „Lebensscheine“ ausstellte. Sie wurden aufgrund ihrer Arbeitskraft benötigt und daher vorerst verschont. Es basiert auf dem Tagebuch von Moshe Szniecki, dem Großvater von Yishai Sweartz. Der Fokus liegt auf den Monaten, in denen sich Moshe Szniecki den Partisanen in den Wäldern rund um die Stadt angeschlossen hatte. Er konnte noch mehrmals unbemerkt das Ghetto betreten und wieder verlassen, doch bei einer dieser Gelegenheiten musste er den Tod von Bewohnern miterleben, darunter einige seiner Familienangehörigen. Daraufhin floh er in die Wälder und kehrte nie wieder zurück. Er schwor sich zu überleben und emigrierte später nach Israel, wo er Jahrzehnte später mit 94 Jahren verstarb. Im Dezember 1942 wurden alle Menschen im Ghetto ermordet. Die Texte, von kompromissloser Direktheit und emotioneller Konsequenz, wurden simultan ins Englische übersetzt und mit einem Smartphone aufgenommen. Yishai Sweartz trägt sie mit präziser und dunkler Stimme zusammen mit Muna Mur vor dem Hintergrund düsterer, elektronisch-industrieller Soundscapes vor, die tief ins Mark gehen. Teilweise wirken als Sprecher auch En Esch und Anja Huwe mit. Ein beklemmendes und eindringliches Zeitdokument über das Schicksal der Menschen in diesem Ghetto. Das hier ist keine „Unterhaltung“, sondern die persönliche, familiäre Geschichtsaufbereitung von Yishai Sweartz.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Markus Kolodziej