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CALL

Collected

Eine der Bands, bei deren Erwähnung man selbst bei Altersgenossen immer wieder ein ratloses „Wer ...?“ erntet, wenn man sie erwähnt. Dabei müssen sie ganz gut verkauft haben in Deutschland Mitte der Achtziger, alleine schon die zig Alben, die über 9,90 DM-Nice-Price-Kisten abgesetzt wurden.

Als taschengeldknapper Jugendlicher durchforstete ich diese Kisten im örtlichen Drogeriemarkt Müller, die auf halber Treppe zur Musikabteilung im Untergeschoss standen, und machte mich bisweilen sogar strafbar: man konnte die dunkle Ecke auch zum „Umpreisen“ nutzen: 21,90-Preisschild abknibbeln, mit 9,90 überkleben – die Muttis an der Kasse hatten ja keine Ahnung, was da auf dem Band lag.

War im Falle von THE CALL nicht nötig, „s/t“ (1982), „Modern Romans“ (1983) und „Scene Beyond Dreams“ (1984) kamen so in meinen Besitz, nur das damals frisch erschienene „Reconciled“ (1986) erstand ich zum vollen Preis, von „Into The Woods“ (1987), „Let The Day Begin“ (1989), „Red Moon“ (1990) und „To Heaven And Back“ (1997) der von 1980 bis 2000 aktiven Band nahm ich dann keine Notiz mehr, ich hörte jetzt ja richtigen Punk ...

Gegründet worden war die Band 1980 im kalifornischen Santa Cruz von Sänger und Gitarrist Michael Been, der übrigens der Vater von BLACK REBEL MOTORCYCLE CLUB-Frontmann Robert Been ist. Er arbeitete zuletzt als Soundmann für die Band seines Sohnes und starb 2010, als BRMC auf dem Pukkelpop Festival in Belgien spielten, an einem Herzinfarkt.

2013 sang Robert dann statt seines Vaters bei einigen US-Shows der sporadisch auftretenden Band. Nachdem im Juni 2019 die Triple-CD-Box „Collected“ mit 54 Songs erschienen war, gibt es nun die nur 26 Songs umfassende Doppel-Vinyl-Version, auf der aber, gerade auf den ersten beiden Seiten, die wichtigsten Songs der Frühphase enthalten sind, etwa „War-weary world“, „There’s a heart here“, „The walls came down“, „Modern Romans“, „Time of your life“, „Scene beyond dreams“, „Everywhere I go“ oder „Oklahoma“ – „Turn a blind eye“ fehlt allerdings.

Musikalisch waren und sind THE CALL schwer zu packen: Post-Punk und New Wave haben deutlich ihre Spuren hinterlassen, aber man hat nie das Gefühl, dass hier eine Band versuchte (oder vom Label gedrängt wurde), auf irgendeinen (UK-)Trend aufzuspringen.

Prägend bei den frühen Alben war auch das Keyboard-Spiel von Garth Hudson (THE BAND) – und natürlich stand über allem der von angenehmem Pathos geprägte Gesang von Been. Man sollte dieser Band den Gefallen der nachträglichen Entdeckung (oder Wiederentdeckung) tun, ich finde, es lohnt sich – auch wenn ihre Musik zugegebenermaßen etwas aus der Zeit gefallen klingt.

Interessante Trivia: Michael Been spielte 1988 in Martin Scorseses „The Last Temptation of Christ“ Johannes den Täufer – weil Scorsese ein großer THE CALL-Fan war. In der Folge wurde die Band von christlichen US-Radiosendern boykottiert ...

Woher ich das weiß? Aus den umfassenden Linernotes im Klappcover. Rotes Vinyl.