„Ich bin Francine R., ich habe Ihre Nummer im Telefonbuch gefunden. Ich rufe auf gut Glück an, ich weiß nicht, ob Sie mit meinem Cousine Jacques und seiner Frau Frances G. verwandt sind.“ Mit dieser Mitteilung auf Boris Golzios Anrufbeantworter beginnt der Kontakt zu einer entfernten Verwandten und damit auch dieses Buch. Golzio ruft zurück, führt zwischen 1997 und 2003 mehrmals persönliche Gespräche mit Francine und hält ihre Berichte auf Band fest. Francine erzählt von den Jahren der deutschen Besatzung Frankreichs, ihrer recht kurzen Zeit als junges Mädchen im französischen Widerstand, die im April 1944 begann und mit der Verhaftung Ende 1944 endete. Danach begann ein Leidensweg, der Francine in mehrere deutsche Arbeitslager führte, in denen sie aufgrund der körperlichen und seelischen Belastung und Misshandlung mehrfach schwer erkrankte und fast starb, bevor sie 1945 mit einem Körpergewicht von 33 kg vom schwedischen Roten Kreuz befreit wurde. Ursprünglich wollte Golzio diese Gespräche nur verschriftlichen, über ein Jahrzehnt verging, bis ihm der Gedanke kam, manches Unaussprechliche durch Bilder zu ergänzen. Von abfälligen Aussagen einiger Zeitgenossen irritiert („[dass] man nicht alles glauben darf, was sie erzählt, [dass] sie stark übertreibt“) recherchiert er zunächst ausgiebig und findet Belege für alle von Francine geschilderten Erlebnisse, die er in reduzierten, sachlichen Bildern visualisiert. Francines Aussagen gibt er dabei meist wortgetreu wieder und ergänzt sie nur selten um situationsverbindende Episoden. Ein Comic gewordenes Zeitdokument, das nachdrücklich die Frage aufwirft, wie Menschen einander solches Leid zufügen können.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #158 Oktober/November 2021 und Anke Kalau