Der musikalische Alptraum für jeden Zeitgeist- und Jugendpostillen-Reviewer ist wieder zurück. BOHREN waren, sind und bleiben eine eigene musikalische Instanz, die sich an nichts anderem messen lässt, als an sich selbst.
Fernab jeder Hektik und Geschwindigkeit, die noch weiter gedrosselt wurde, und zwar im gleichen Maße, wie das Leben um uns herum hektischer wird. Wer dachte, dass es nach "Black Earth" nicht mehr viel geben könnte, was BOHREN in dieser Richtung noch anstellen könnten, der kann sich vergewissern, wie falsch er lag.
Auf "Geisterfaust" wurden die Strukturen noch einmal mehr entbeint, die Knochen dessen, was gemeinhin als Liedaufbau, Harmoniefolge oder Rhythmus das Gerüst für ein Stück bilden, noch weiter abgenagt, und wir sind dabei immer noch im BOHREN-Kosmos, da drehen sich ohnehin keine Planeten um helle Sonnen, hier stehen sie still, weil die Sterne längst erloschen sind.
"Nur" fünf Songs diesmal, die sich aber mit knapp 58 Minuten aus den Fingern einer Hand betiteln (und in der Länge der Stücke an der normalen Länge dieser Finger orientieren), tropfen ganz langsam aus den Boxen und bremsen die Zeit.
Wäre der Grundton nicht so pechschwarz, könnte "Geisterfaust" fast als esoterische Entspannungsplatte durchgehen, nur haben die selten derart schwere und tiefe Töne, die einen eher in den Selbstmord, als in die total körperliche Entspannung treiben.
BOHREN funktioniert nicht nebenher, nicht in der hellen Sonne am Baggersee und auch nicht für frisch verliebte, junge Menschen, denen das schnelle Vergnügen alles bedeutet. Bei BOHREN muss man zuhören, man muss sich die Zeit nehmen, um in diese Musik einzutauchen, und man muss bereit sein, sich treiben zu lassen, sonst wird einem diese musikalische Dimension auf immer verschlossen bleiben.
BOHREN verlangen Aufmerksamkeit, Geduld, Hingabe, offene Ohren ... einen bequemen Stuhl, gedimmtes Licht (am besten gar keines), vielleicht einen schweren Rotwein, Zeit und verdammt gute Tieftöner, dann ist es eine der schönsten Seereisen, die man inmitten des Hades mit Dante als wortlosem Reiseführer buchen kann.
Schwere Musik für gefestigte Menschen, die der Farbe Tiefschwarz helle Töne abgewinnen können, alles andere wäre ein Spiel mit dem eigenen Leben. (Grandios, bar jeder Wertung.)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #95 April/Mai 2011 und Kalle Stille
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und Kalle Stille
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