Jerusalem ist seit Jahrtausenden ein Schmelztiegel der Kulturen. Als Wiege des Christentums und heilige Stätte von Juden wie auch Moslems birgt die Stadt auch ebenso lange schon ein enormes Konfliktpotential.
Selbstmordattentäter, in Menschenmengen rasende Autofahrer, Entführungen – unabhängig von der wohl unergründlichen Ursache dieser Spirale liegt ein Ende der Gewalt nach wie vor in weiter Ferne.
Doch nicht heute, sondern im Jerusalem der 1940er Jahre siedelt der israelstämmige US-Amerikaner Boaz Yakin die Geschichte der fiktiven, autobiografisch eingefärbten Familie Halaby an. Gestützt auf Erzählungen seines Vaters Moni webt er ein emotional dichtes Netz aus Liebe, Idealismus, Engagement, Nachsicht, Verzweiflung, Fanatismus, Gier und Verrat.
Dass Yakin normalerweise als Drehbuchautor und Regisseur arbeitet, merkt man „Jerusalem“ dabei deutlich an: Im wahrsten Sinne des Wortes schräge Ansichten, Landschaftsbilder und vor Bewegung nur so strotzende Bilder durchziehen den Band, den Nick Bertozzi („Lewis & Clark“) zeichnerisch ebenso eindeutig wie eindringlich in betont tristen bis verzweifelten schwarz-weißen Zeichnungen zu Papier gebracht hat.
Nach undurchbrochenen Standardpanels muss man da schon länger suchen. „Jerusalem“ mag zwar ein Familienporträt sein, es ist aber zugleich eines: Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Israels zu Zeiten des Britischen Mandats Transjordanien.
Und in erster Linie natürlich eine Hommage an die Stadt Jerusalem, die vor 2000 Jahren gezeigt hat „wie man Leidenschaften und Träume beflügelt“. Und mit der der Autor – allem Blutvergießen zum Trotz – auf ewig im Geiste verbunden bleiben wird und will.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #123 Dezember 2015/Januar 2016 und Anke Kalau