Als sich in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern in Hardcore-Kreisen Tätowierungen zu bevorzugten Insignien einer Szenezugehörigkeit entwickelten, waren das vor allem Tribal-Tattoos und man war noch weit entfernt von der beinahe schon gleichförmigen Farbenflut, die sich heute jeder 20-Jährige vollflächig in die Haut pumpen lässt.
Meine Sympathie galt schon immer den schwarz-weißen Motiven, und das legendäre, höchst inspirierende „Modern Primitives“-Buch hatte damit auch was zu tun. Die New Yorker Journalistin und Anwältin Marisa Kakoulas, die selbst großflächig tätowiert ist und deren Ex-Mann Daniel Di Mattia „Calypso Tattoo“ in Lüttich betreibt, hat mit der Hilfe verschiedener Fotografen nun dieses massive, höchst beeindruckende Fotobuch umgesetzt, das, hier und da durch kurze Texte unterbrochen, die gesamte Bandbreite von nur mit schwarzer Tinte gestochener Hautbilder vorstellt.
Die Bandbreite reicht also von klassischen Tribals über originale Ureinwohner-Hautzeichnungen bis zu keltischen Motiven und völlig freie, urbane „Art Brut“-Styles wie über die Haut tanzende Buchstaben oder nach Bleistiftskizzen aussehende Bilder.
Aber auch die Ausführung ist verschieden:Vollflächige, satte Schwarztöne einerseits, nach Druckraster aussehende „Dotwork“ andererseits. Ein unglaublich beeindruckendes, inspirierendes Buch, das einen Blick auf sein Sparkonto einerseits und auf freie Hautflächen andererseits werfen lässt – gut für Menschen, die nicht so naiv waren, ihren Geschmack schon mit 20 für final zu halten und die deshalb noch etwas Platz frei haben ...
Ein essentielles Werk, das viel zu schade dafür ist, es nur auf dem Coffeetable herumliegen zu lassen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #86 Oktober/November 2009 und Joachim Hiller