Es bedurfte wohl des zugeneigten Fremdseins, einer gewissen Distanz bei gleichzeitiger Hingabe zur Sache, um die schier unmögliche Aufgabe anzunehmen, vier Jahrzehnte Punk in Russland in Buchform zu bündeln.
Alexander Herbert, ein Punk-Aktivist aus Michigan, kam 2012 zum Studium der Sprache wie Geschichte Russlands nach Nischni Nowgorod und glitt durch Zufall in die dortige Punk-Szene, wurde angefixt und fing bald an, mit seinem Fanzine Punks Around das dort und auf folgenden Trips Erlebte zu reflektieren, wobei es später zunehmend gezielte Gesprächsfangzüge waren, sowohl zu derzeitigen Protagonisten als auch den Überlebenden der Frühzeit, so sie denn auskunftswillig waren.
Den partiellen Mangel an Zugang geschickt mit Zitaten ausgleichend, wobei der Sonderpunk Sibiriens gleich ganz vom Dokumentarfilmer Wladimir Koslow abgedeckt wurde, rast das Buch flüssig durch die Zeitenwenden: die Anfänge in Leningrad, der Rockklub dort und in Moskau, Perestroika-Punk, Transformationspunk und der Durchbruch zum Mainstream, Antifa und der brutale Kampf um die Straße, Provinz- versus Metropolenpunk, Anti-Putin-Punk und passend zuletzt die Frage, wie viel (russischer) Punk in PUSSY RIOT auszumachen ist (oder umgekehrt, wie viel ihrer feministischen Radikalopposition in jenem).
Dabei so dicht komponiert, dass teils die Gefahr besteht, zwischen all den Figuren die Übersicht zu verlieren, gerade bei fehlender Vorkenntnis. Auf jeden Fall ein sehr empfehlenswerter Einstieg und guter erster Überblick, dem Vertiefung folgen sollte.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #146 Oktober/November 2019 und Alexander Pehlemann