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39,90

Der 44-jährige Holländer Jan Kounen ist so eine Art kreativer Problemfall des europäischen Kinos. In visueller Hinsicht sicherlich einer der ambitioniertesten Regisseure momentan, und dementsprechend auch im Werbe- und Videoclip-Bereich gut beschäftigt, nur bei den Drehbüchern hapert es immer etwas.

Seine frühen Kurzfilme sind aber auf jeden Fall absolute Leckerbissen, vor allem VIBROBOY von 1993, ein vollkommen durchgeknallter Science-Fiction/Horror-Mischmasch, in dem ein wiederauferstandener Aztekengott mit Penisbohrer eine Wohnwagensiedlung in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt.

Extremst schwarzhumorig und geschmacklich völlig abseitig, aber definitiv ein Highlight im bisherigen Schaffen von Kounen. Diese Wildheit ist auch in seinem ersten Spielfilm DOBERMANN von 1997 zu spüren, weshalb der Film hierzulande nach wie vor auch auf dem Index steht und auf DVD leider nur in unbefriedigenden oder vergriffenen Fassungen kursiert.

So fehlt etwa der deutschen Fassung der Originalton, zumindest ist sie ungeschnitten. Aber auch sein BLUEBERRY, mit dem er 2004 Jean Girauds populären Comic-Westernhelden auf die Leinwand brachte, erntete überwiegend Unverständnis.

Kein Wunder, ist der Film doch eher ein schamanistischer Trip in der Tradition von EL TOPO oder HOLY MOUNTAIN, als eine klassische Comicverfilmung, bei dem sich Kounens großes Interesse für spirituelle Themen zeigt, das dann auch zur Dokumentation D’AUTRES MONDES führte.

Zwischen BLUEBERRY und 99 FRANCS verstrichen dann nur drei Jahre, die Verfilmung des gleichnamigen autobiografisch gefärbten Romans von Frédéric Beigbeder, der hierzulande hinsichtlich des Titels Opfer eines komischen Wechselkurs- und Buchpreischaos wurde.

Denn streng genommen müssten Film und Buch 15,09 EUR heißen, allerdings war wohl der Preis der deutschen Erstauflage des Buches „39,90“. Bei dem Taschenbuch wurde der Preis auf dem Buchtitel dann insofern verändert, dass einem „9,90“ knallrot ins Auge springen, während die „3“ hellgrau gefärbt ist.

Beigbeders Bestseller ist jedenfalls eine provokante Abrechnung mit der Werbebranche, in der er lange selbst aktiv war. Eine zynische Bestandsaufnahme unserer Konsumwelt und des Kapitalismus.

Nicht ganz unumstritten, denn trotz Insiderwissen wirkt 99 FRANCS nicht immer realistisch, wodurch auch die Verfilmung eine Art „Fear and lothing in the advertising industry“ wurde. Die Hauptfigur ist dabei Octave Parango, der einen gut bezahlten Job in der Werbebranche hat, das Ganze allerdings mittlerweile nur noch durch ausgiebigen Kokainkonsum und andere Exzesse ertragen kann.

Dies gibt Kounen reichlich Gelegenheit, seinen Film mit überdreht halluzinatorischen Momenten anzureichern, wenn Octave den Kontakt zur Realität verliert. Das macht auf jeden Fall den Reiz des Films aus, denn ansonsten wirken die Botschaften von Beigbeder bezüglich der Oberflächlichkeit der Werbewelt, in der alles käuflich ist, nicht weiter bemerkenswert und Octaves Leben auf der Überholspur tatsächlich überwiegend wie die Wahnvorstellungen eines Junkies.

Und so muss man Koenen – ebenso wie Beigbeder – ähnlich wie bereits in DOBERMANN vorwerfen, vor allem an den spektakulären Schauwerten der Geschichte interessiert gewesen zu sein. Die enthält zwar einen wahren Kern, aber durch ihre oftmals klischeehafte Darstellung und inhaltlichen Groschenroman-Tendenzen wirkt sie nicht immer überzeugend, und vielleicht sogar ähnlich oberflächlich wie die darin attackierte Welt der Werbung.

Style over substance also. Aber bei aller dramaturgischer Schräglage gelingen Koenen immer wieder fantastische Bilder, die eine wilde Experimentierfreude zeigen, die sich leider nicht immer in Einklang mit der eigentlichen Geschichte bringen lässt.

Und so steht 99 FRANCS quasi zwischen der überdrehten, gewalttätigen Cartoon-Absurdität von DOBERMANN und den spirituellen Entgleisungen von BLUEBERRY. Kounens bisher publikumsfreundlichster und unterhaltsamster Film, sicher auch wegen seines Hauptdarstellers Jean Dujardin, der den Irrsinn seiner unerträglich egozentrischen Figur glaubhaft vermitteln kann.

Auf jeden Fall hat Kounen auch mit 99 FRANCS seine Integrität als europäischer Regisseur wahren können, im Gegensatz zum einstigen Wunderkind der französischen Filmindustrie, Mathieu Kassovitz, der inzwischen nur noch unerträglichen Schrott dreht, siehe zuletzt BABYLON A.D.

Als Extras gibt es auf der Ende März erschienenen DVD einen Audiokommentar von Kounen, Dujardin und Beigbeder, ein Making Of und deleted Scenes.