WÜRST NÜRSE

Foto© by Robert „Squid“ Colins/Wild Rose Pictures

Drei Akkorde gegen Pflegenotstand

WÜRST NÜRSE aus Melbourne, Australien bezeichnen sich selbst als die erste und beste Krankenschwester-Punkband der Welt. Fünf Krankenschwestern, die vor sechs Jahren Fieberthermometer und Schnabeltassen weggelegt und nach Instrumenten gegriffen haben. Seitdem hat die Band die beiden EPs „Hot Hot Hot“ (2018) und „The Würst Nürse Cürse“ (2022) sowie eine Single veröffentlicht. Alle zum Download auf Bandcamp. Ein Album gibt es noch nicht und auch kein Label, dafür jede Menge Songs über Bettpfannen, Durchfall oder Nachtschichten. Wie es zur Bandgründung gekommen ist und was sie mit ihrer DIY-Band sagen wollen, erzählt Gitarristin Anna Stein.

Seid ihr wirklich Krankenschwestern? Arbeitet ihr alle im selben Krankenhaus?

Wir arbeiten in verschiedenen Krankenhäusern. Wir kennen uns alle schon seit acht oder neun Jahren durch die Musikszene in Melbourne, und irgendwann haben wir festgestellt, dass wir alle den gleichen Job haben. Anfangs haben wir immer nur Witze gemacht, wie es wäre, eine Krankenschwestern-Band zu haben mit Songs über schlechte Ärzte, Blut und all die furchtbaren Dinge aus unserem beruflichen Alltag. Zu diesem Zeitpunkt waren wir nicht alle Musikerinnen, sondern teilweise noch Fans. Irgendwann hat jemand dann gesagt: Warum fangen wir nicht einfach an?

Auf Fotos habe ich gesehen, dass ihr als Band schon mal Schwesternuniformen tragt. Auch auf der Bühne?
Anfang Mai haben wir unsere zweite EP veröffentlicht und eine Release-Show im Pub The Gasometer Hotel gespielt. Da tragen wir alte Krankenschwestern-Outfits aus den Achtzigern, die uns die Mutter einer Freundin geschenkt hat. Ursprünglich waren sie nur für Fotoshootings gedacht, aber wir fanden es alle lustig, sie auf der Bühne zu tragen. Ich denke, Weiß sieht immer gut aus im Scheinwerferlicht. Unsere echte Berufskleidung tragen wir nicht auf der Bühne. Mit dem Krankenschwestern-Look haben wir erst vor ungefähr einem Jahr angefangen, um uns noch interessanter zu machen. Vorher standen wir immer in schwarzen Jeans und T-Shirts auf der Bühne.

Was hat euch motiviert, eine Band zu gründen? Wut über die schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem?
In erster Linie wollten wir Spaß haben. Aber dann hat der Sänger einer bekannten Band beim Unify Gathering Festival vor sechs Jahren was ziemlich Schreckliches und Dummes über Frauen gesagt. Das hat viele Leute ziemlich angepisst. Seinen Namen will ich jetzt nicht nennen. Sein Kommentar hat in Melbourne eine ziemlich heftige Debatte rund um Frauen in Bands ausgelöst. Speziell in der männerdominierten Punk-Szene. Genau dort hängen wir alle ab und sind mit vielen Musikern befreundet. Alle Bands, die wir kennen, bestehen aus unseren Kumpels, Lebenspartnern oder Brüdern. Weil wir mehr Frauen auf der Bühne sehen wollten, haben wir unsere eigene Band gegründet. Irgendwann wurden die Forderungen immer lauter, dass es eine Art Quote auf Festivals oder in Clubs geben sollte, für eine Mindestanzahl an weiblichen Bands oder Bandmitgliedern. Am Anfang hatte WÜRST NÜRSE also nicht viel mit unserem Beruf zu tun, sondern eher mit der geringen Anzahl an Frauenbands in Melbourne. Dann lief es von Anfang an wie geschmiert. Wir haben viel Beachtung bekommen, konnten Songs schreiben und hatten keine Probleme, Gigs an Land zu ziehen. Dabei haben uns unter anderem CLOWNS geholfen, denn deren Drummer Jake ist der Bruder unserer Schlagzeugerin Abbie. Inzwischen haben wir sogar eine kleine Tour mit THE DAMNED gespielt.

Die erste Single von eurer aktuellen EP heißt „I’m not your punching bag“. Dazu gibt es auch ein Video auf YouTube. Worum geht’s in dem Song?
Es geht darum, dass viele Leute ihren Ärger und ihren Frust an Menschen auslassen, die nichts dafür können. Oft sind das eben wir Krankenschwestern. Dabei geht es nicht unbedingt zwingend um Handgreiflichkeiten, es geht auch um emotionale Verletzungen oder wie wir uns untereinander anschnauzen, wenn wir gestresst sind. Verbaler Missbrauch ist ein großes Thema in Krankenhäusern. Vor allem in den Notaufnahmen. Es geht aber auch um sexistisches Benehmen von Patienten, die schon ein bisschen älter sind. Alle in der Band haben schon schlechte Erfahrungen damit gemacht. Gleichzeitig wird von uns erwartet, dass wir damit klarkommen und uns nicht darüber aufregen. In Der Song erzählt davon, wie viel Wut darüber wir mit in unser Privatleben nehmen. Außerdem ist es ein Stück für andere Krankenschwestern, die sich mit demselben Problem herumschlagen müssen.

Es gibt andere Songs, die „Nightmare on night shift“, „Fresh outta bedpans“ oder „Dedication doesn’t pay the rent“ heißen. Ihr verarbeitet damit offenbar eure tagtäglichen Erlebnisse im Job.
Das stimmt. Es geht vor allem darum, was wir mitmachen, womit wir klarkommen müssen. Wenn wir uns als Band treffen, machen wir die Hälfte der Zeit Musik, die andere Hälfte verbringen wir mit tratschen über unseren Job. Deshalb entstehen meistens die Songtitel als Erstes, dann schreiben wir die Musik und dann folgt der Text. „Dedication doesn’t pay the rent“ zum Beispiel war einer unserer ersten Songs. Da geht es konkret um Krankenschwestern-Streiks Mitte der Achtziger. Die hatten einen krassen Wechsel im Berufsbild zur Folge. Von der nonnenartigen Oldschool-Krankenschwester zur modernen, selbstbewussten Pflegekraft, die für gerechte Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen auf die Straße geht. Der Spruch „Dedication doesn’t pay the rent“ stand auf einem Schild, das eine der Frauen in eine Kamera gehalten hat. Ein toller Slogan.

Es gibt aber auch lustige Songs von euch wie „Hot doctor“ oder „Hot brown rain“.
„Hot brown rain“ hat wirklich eine lustige Geschichte. Natürlich geht es in dem Song um heftigen Durchfall. Eine Freundin von uns hat in der Gastroenterologie gearbeitet und hatte wirklich ein paar schlimme Erlebnisse mit Patienten. Darüber haben wir diesen Song geschrieben. Ich denke, es war ihr wirklich peinlich, deshalb weiß sie wahrscheinlich gar nichts von der Existenz dieses Stücks. Wir haben ihr es nie erzählt, das wird für immer unser Geheimnis bleiben, haha. Wir versuchen immer, eine gute Balance zwischen lustigen und ernsten Songs zu finden. Ich selbst mag die lustigeren Songs lieber, die anderen bevorzugen die Songs mit einer Botschaft. Es ist gut, beide Ansätze in der Band zu haben.

Wie haben die Ärzte und die anderen Krankenschwestern auf eure Band reagiert?
In meinem Krankenhaus wissen nicht viele, dass ich in einer Band spiele. Ich bin ein bisschen schüchtern und finde es eher unangenehm, bei der Arbeit über meine Band zu sprechen. Ich finde es auch immer peinlich, wenn mir jemand einen Artikel mit unseren Promo-Fotos unter die Nase hält. Drei von WÜRST NÜRSE arbeiten gemeinsam in einem anderen Krankenhaus und die gehen ganz anders damit um. Als wir unsere Release-Show hatten, haben sie überall im Krankenhaus Poster aufgehängt und Flyer verteilt. Außerdem laufen immer wieder Songs von uns auf der Station, wenn die Frühschicht an die Spätschicht übergibt. Unsere Sängerin Steph arbeitet in einem Kinderkrankenhaus und beschäftigt sich mit psychischer Gesundheit. Sie verwendet unsere Songs sogar zu therapeutischen Zwecken. Das finde ich stark.

Habt ihr vor, nach zwei EPs auch ein komplettes Album aufzunehmen?
Konkrete Pläne gibt es noch nicht, aber ein Album zu schreiben und aufzunehmen ist sicher ein Traum von uns allen. Aber wir sind nun mal eine DIY-Band ohne Label und ohne Promo-Agentur. Wir machen alles selbst und bezahlen auch alles selbst. Bei uns ist das alles nicht so einfach, weil wir alle Vollzeitjobs mit Nachtschichten und Wochenenddiensten haben. Ein Album herauszubringen, ist also definitiv ein Ziel von uns. Aber ich denke, das liegt noch in weiter Ferne. Wenn es eins geben wird, dann sicher auf Vinyl, denn bisher haben wir nur unsere erste EP auf Kassette herausgebracht, den Rest der Songs findet man auf Bandcamp. Oder vielleicht packen wir auch alle unsere bisherigen Songs auf eine Platte. Das wäre auch eine gute Idee.

Du hast schon erwähnt, dass ihr gut mit CLOWNS befreundet seid. Gibt es Verbindungen zu anderen Bands aus Melbourne?
Wir haben Shows mit AMYL AND THE SNIFFERS oder COSMIC PSYCHOS gespielt. Und natürlich kennen wir auch PRESS CLUB sehr gut. Außerdem stehen wir oft mit PRIVATE FUNCTION auf der Bühne, eine wirklich coole Band. Das ist die wahrscheinlich beliebteste Punkband in Melbourne gerade. Die schreiben wirklich dumme Songs, die saulustig sind. Richtig gute Musiker, die sehr schnell und dynamisch sind.