Meine erste Begegnung mit Alex Brindle Johnson aus London war im Mai 2018, beim von ihm mitinitiierten Brixton Punk Rock BBQ, doch da hatte ich noch keinen Ton seiner Band WONK UNIT gehört. Das änderte sich eine Woche später beim Rebellion Festival Amsterdam, wo zuerst ihr Akustik-Auftritt, und später am Abend der reguläre Gig mein Zwerchfell so sehr strapazierte, dass ich Tage danach noch Muskelkater von meinem Lachkrampf hatte. Das Ganze wiederholte sich ein paar Monate später beim Festival in Blackpool – und ab da hat das Wonk-Fieber mich völlig erfasst.
Manchmal wirkt Alex wie eine zwei Meter große Version vom Karlsson vom Dach, der jedoch nicht aus Schweden zu uns rüber geflogen ist, sondern aus dem England des William Shakespeare in die Gegenwart katapultiert wurde. Denn für einen trockenen Alkoholiker, der bis vor kurzem seinen Lebensunterhalt auf dem Bau verdiente und früher keiner Schlägerei ausgewichen ist, ist der Typ mit dem vielen Silber in der Kauleiste äußert wortgewandt, aber auch zum Brüllen komisch. Auf der einen Seite ist da die vor Ideen fast überschäumende Künstlerseele, kaum ein Einfall, der nicht sogleich ausprobiert werden muss, um zu schauen ob’s funktionieren könnte. Auf der anderen Seite ist er jemand, der trotz einer positiven Grundeinstellung in der Lage ist, über die ernsten Dinge des Lebens und die eigene, nicht immer so ruhmreiche Vergangenheit zu reflektieren.
Erst mal Glückwunsch zum Papawerden, kommst du überhaupt noch zum Schlafen im Moment?
Haha, danke dir! Es ist wunderbar, und obwohl es sich tatsächlich anfühlt. als hätte ich vier Monate lang kein Auge zugekriegt, habe ich es in Wirklichkeit leicht. Es ist meine Frau Aoife, die das letzte Vierteljahr nicht mehr geschlafen hat.
Sind dir irgendwelche Veränderungen aufgefallen hinsichtlich der Art, wie du dein Leben als Künstler führst, nachdem du Vater geworden bist.
Es erinnert mich tatsächlich sehr an meine Zeit als Bauarbeiter, immer müde, nie Zeit für dich selbst, einfach weitermachen, um noch einen Tag arbeiten zu können. Vermutlich wird es für meine Kreativität wahre Wunder bewirken. Denn immer dann, wenn ich es endlich schaffe, meine Gitarre in die Hand zu nehmen, ist es ein wirkliches Privileg.
Du bist vielfach beschäftigt, als Dichter, Blogger, Skater, Musiker, Sänger, Texter, Vater, Steinmetz und Fliesenleger – habe ich etwas vergessen?
Ehemann, T-Shirt-Designer, Maler, Festivalveranstalter und DIY-Skateparkbauer.
Songtexte, Gedichte, Blogging und Kurzgeschichten. Was sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten dieser verschiedenen Ausdrucksformen?
Also wenn ich ein Gedicht schreibe, dann endet es meistens in meinem sträflich vernachlässigten Blog „Cement, you cunt“. Oft erscheint es dann irgendwann wieder als Songtext, denn meine Songs lassen sich sowieso am besten beschreiben als Gedichte mit musikalischer Untermalung, zumindest kommt dem das sehr nahe. Die Kurzgeschichten behandeln Dinge, bei denen ich das Gefühl habe, sie aufschreiben zu müssen. Mein Leben halt, Dinge, die ich vergessen hatte, und auf einmal kommen sie, wie aus dem Nichts, wie eine riesige Welle auf mich zu und überschwemmen mich. Das ist der Kram, der aufgeschrieben wird.
Du hast auch ein Buch geschrieben, dessen Inhalt zur Folge hatte, dass WONK UNIT in einigen Läden Auftrittsverbot bekamen. Worum ging es da?
Mein stolzester Moment, „How To Make Girls Cum. Notes From The Sex Manual“. Das Teil schaffte es bis auf Platz 3 der Amazon-Bücherliste zum Thema „Gesundheit und Sexualität“, im Prinzip ihre „Bücher für Erwachsene“. Ich schrieb es auf dem Handy innerhalb von drei Wochen, während ich zur Baustelle fuhr, vor Schichtbeginn und nach Feierabend, in der Bahn oder im Bus. Ich wollte über die sexuellen Ängste und Verunsicherungen schreiben, die wir alle als junge Männer durchmachen, über die wir aber nie wirklich reden. Ich wollte über die Sachen schreiben, bei denen von uns einfach erwartet wird, dass wir darüber Bescheid wissen. Ich habe es in der Sprache der Straße und der Baustellen verfasst. Natürlich war es pornografisch, aber auch sehr ehrlich. Ziemlich heftiger Lesestoff. Es war auch jede Menge Humor dabei, und rückblickend ist es durchaus verständlich, das etwas prüdere Leute daran Anstoß nahmen. Die größten Fans des „Sex Manual“ waren übrigens Frauen. Ich habe meine Frau bei einer Lesung in ihrem feministischen Club kennen gelernt. Sie dachte sich: „Hmm, dieser Typ weiß über meine Muschi Bescheid ...“, haha. Und hier sind wir, zehn Jahre später und glücklich verheiratet. Das Buch ist allerdings nicht erhältlich im Moment, ich habe es bei Kindle runtergenommen, weil ich es überarbeiten wollte, wozu ich natürlich noch nicht gekommen bin.
WONK UNIT haben einen neuen Schlagzeuger, ist ihm überhaupt klar, worauf er sich eingelassen hat?
Um ehrlich zu sein, wir arbeiten zur Zeit mit vier verschiedenen Schlagzeugern. Da ist unser Neuling Spike T Smith, der schon bei SACRILEGE, KILLING JOKE, NEW YORK DOLLS, CONFLICT gespielt hat und einfach fantastisch und wunderbar ist. Dazu gibt es noch drei ehemalige Drummer, die immer wieder einspringen; Duncan Redmonds von SNUFF und GUNS ’N’ WANKERS, dann unser ursprünglicher Drummer Mez Clough, der zwischendurch für MADNESS und Van Morrison getrommelt hat. Und Adam Stone, der auf unseren Platten „Muffy“ und „Wonk Unit Saved My Life“ zu hören ist, macht auch hin und wieder was.
WONK UNIT haben auch eine Art neues Best-Of-Album am Start, was kannst du darüber erzählen?
„Love In Chapan“ ist ein Live-Album inklusive DVD, es wurde während des Wonkfest 2017 aufgezeichnet. Es war die perfekte Gelegenheit, um so was aufzunehmen. Anschließend hat es aber ein Jahr gedauert, bis ich endlich gerafft hatte, wie geil der Mitschnitt wirklich ist. Wir haben es nicht einmal mischen müssen, nur noch gemastert. Ich finde, es ist schon etwas ganz Besonderes. Wir haben außerdem noch ein weiteres Album in der Mache, aber das wird noch bekanntgegeben.
Was können die Leute vom diesjährigen Wonkfest erwarten?
Jede Menge Überraschungen, sowohl musikalisch als auch kulinarisch. Für mich ist es das beste Billing, das wir jemals hatten, mit Überraschungsgästen und exklusiven UK-Auftritten, und auch das Essen wird in diesem Jahr noch spannender. Die Leute sind so großzügig bei dem, was sie alles für das Buffet mitbringen, und für die Frauenhäuser, für die wir sammeln. Diese unverzichtbaren Einrichtungen suchen immer händeringend nach Spenden, gebraucht wird alles, von Make-up über Hygieneartikel bis zu Windeln.
Du gehst sehr offen damit um, dass du ein trockener Alkoholiker bist. Ist diese Ehrlichkeit eine Art Selbstschutz, um auf Tour überleben zu können, oder ist es auch ein Teil der Message an dein Publikum?
Ich habe mich nie dafür geschämt, wer ich bin. Schon bevor ich trocken wurde, war totale Ehrlichkeit eine Art Verteidigungsmechanismus. Wenn ich keine Geheimnisse habe, dann kann mir auch niemand etwas anhaben. Ich habe in meinem Leben sehr viele Probleme und Kummer verursacht. Aber ich habe mich dem gestellt und es ist jetzt Vergangenheit. Songwriter zu werden, war eine Möglichkeit, meine Ängste und Schmerzen zu verarbeiten, nachdem ich trocken wurde. Ich bin Mitglied bei den Anonymen Alkoholikern, ich bin alkohol- und drogenabhängig und ich schäme mich nicht dafür, denn ich habe es mir nicht ausgesucht. Sucht und psychische Erkrankungen im Allgemeinen sind immer noch von so vielen Vorurteilen und Stigmen umgeben. Ich haben großen Respekt vor cleanen und trockenen Süchtigen. Trocken zu werden, ist das Beste, was mir jemals passiert ist. Wenn ich durch diese positive Erfahrung anderen helfen kann, großartig! Früher dachte ich, ich müsste für meine Sünden Buße tun, und zwar genauso lange, wie ich Menschen verletzt hatte, aber das ist Mist, davon habe ich mich vor Jahren verabschiedet. Wir Süchtigen halten zusammen.
© by - Ausgabe # und 26. November 2024
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #147 Dezember/Januar 2019 und Joachim Hiller
© by Fuze - Ausgabe #92 Februar/März 2022 und Joscha Häring
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Kay Werner