WARSHIP

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Musik kann keine gesellschaftlichen Veränderungen herbeiführen

Wer sich die Entstehungsgeschichte von WARSHIP ansieht, erkennt schnell, dass Francis Mark und Rob Lauritson offenbar keine Zeit hatten, dem Ende von FROM AUTUMN TO ASHES im vorigen Jahr lange nachzutrauern. Bereits einen Tag, nachdem eine der Konsensbands des Emocore auf ihrer MySpace-Seite ihre Auflösung bekannt gab, schrieben Sänger Francis und Gitarrist Rob an den Songs eines neuen Projekts. Anders sollte alles werden. Und besser: Weg vom berechenbar gewordenen Sound ihrer Ex-Band, hin zu vollendet veredeltem Post-Hardcore, der beim Tempo bewusst einen Gang zurückschaltet, dezente Anleihen dem Grunge der Neunziger Jahre entnimmt und mit politischeren Texten als das Gros der Genrekollegen versehen ist. Der Plan für das WARSHIP getaufte Projekt ging zumindest insoweit auf, als dass das New Yorker Duo schon im November sein Debüt „Supply And Depend“ bei Vagrant veröffentlichen konnte. Doch die erste Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. So verkündete Francis im März des Jahres ohne Angabe von Gründen Robs Ausstieg aus der Band, weshalb er die kurz darauf beginnende Europatour, wie er sagt, „mit ein paar Freunden als Mitmusiker“ antreten musste. Dass es sich im Berliner Magnet Club bei der Band, die auf der Bühne steht, lediglich um eine improvisierte Truppe handelt, ist an diesem Dienstagabend im Juni hingegen kaum zu spüren. Zumindest einer sollte diesen Ort aber in besserer Erinnerung haben.

Als Francis Mark vor zwei Jahren mit FROM AUTUMN TO ASHES in dem damals fast ausverkauften Berliner Club gastierte, hatte er noch ganz andere Ansprüche an die Konzerte seiner Band. „Wenn an manchen Tagen weniger als 300 Leute zu unseren Shows kamen, waren wir immer sehr enttäuscht und fragten uns: ‚Was ist los? Sind wir schon auf dem absteigenden Ast?‘ Heute bin ich über jeden einzelnen Zuschauer froh“, erzählt er im Hinblick auf die etwa siebzig Personen, die sich seine neue Band heute ansahen. „Aber was will man machen? Wir versuchen einfach unser Bestes zu geben, egal ob nun zwanzig oder hundert Leute vor uns stehen. Bei den vielen Bands, die auf Tour sind, kann ich es außerdem verstehen, dass man nicht jede Woche Geld für ein Konzert ausgeben kann.“

Doch diese Bescheidenheit erscheint geradezu symptomatisch für die Entstehung von WARSHIP. So musste man sich nach den komfortablen Touren mit FROM AUTUMN TO ASHES nicht nur wieder an „kleine Clubs, niedrige Gagen, wenige Zuschauer und Schlafsäcke im Tourbus“ gewöhnen. Auch musikalisch sollte wieder bei Null begonnen werden, wie Francis erklärt: „Sicherlich wird man zwischen beiden Bands Parallelen feststellen können, immerhin schreibe ich weiterhin die Songs und bin der Sänger. Aber ich finde einfach, dass WARSHIP viel rauher und ursprünglicher klingen als die Musik, die wir am Ende mit FROM AUTUMN TO ASHES gemacht haben. Für meinen Geschmack war das teilweise zu weichgespült.“

Die rohe Energie, die „Supply And Demand“ vom ersten bis zum letzten Ton verströmt, kommt also nicht von ungefähr. Es scheint, als hätten WARSHIP den unverwüstlichen Hardcore-Spirit ihrer Vorgängerband konserviert, ihn radikal von jenen Einflüssen befreit, die sich für Francis „nicht mehr authentisch anfühlten“, und mit einer Prise antiquiertem Grunge verfeinert.

Aber Grunge? War das nicht das Genre, das einst in den Neunziger Jahren den Eingang von ungeschliffener Gitarrenmusik in den Mainstream ebnete und schon gegen Ende des Jahrzehnts fast vollständig im Tal der Bedeutungslosigkeit verschwunden war? „Man kann über diesen damaligen Grunge-Hype denken, was man will, aber mit NIRVANA, ALICE IN CHAINS und SOUNDGARDEN bin ich nun mal aufgewachsen und ich wüsste nicht, wo ich ohne diese Bands heute stünde. Gleichzeitig habe ich auch früh damit begonnen, Hardcore-Bands wie BLACK FLAG, INDECISION oder BAD BRAINS zu hören, weshalb ich schon länger die Idee hatte, diese beide Stile mal miteinander zu verknüpfen.“

Der Schritt von FROM AUTUMN TO ASHES zu WARSHIP vollzog sich jedoch nicht nur auf musikalischer Ebene. Mit Songtiteln wie „Profit over people“ und „We’ve never been equal“ umhüllt sich das Album mit einem weitaus politischeren Gestus als dies bei Francis’ Vorgängerband je der Fall war. „Ich hatte nie das Gefühl, dass FROM AUTUMN TO ASHES eine politische Band waren. Aber bei all der Scheiße, die in den letzten acht Jahren in den USA passierte, wäre es schon ein Wunder, wenn man dies als Künstler in seinem Werk nicht in irgendeiner Form reflektiert. Deswegen verarbeitete ich heute auch Themen in meinen Texten, die ich früher nicht angerührt hätte.“

Und so finden sich in fast allen Texten von „Supply And Depend“ Anspielungen auf klassische Politpunk-Themen: die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, die politische Macht von großen Unternehmen und die offensichtliche Ignoranz diesen Missständen gegenüber. Doch auch der Zweifel und die eigene Ohnmacht angesichts dieser komplexen Probleme bleiben zumindest nicht unerwähnt. „I don’t know enough to know how to change it, but I know that I hate it“, heißt es etwa in „Profit over people“ und erteilt der bürgerlichen Forderung, dass Kritik gefälligst immer konstruktiv sein müsse, offenbar eine eindeutige Absage. Francis dazu: „Man darf sich mit der Kritik an sozialen Missständen niemals zurückhalten, nur weil man kein Experte in Sachen Politik ist und auch keinen Masterplan parat hat, wie denn nun alles besser werden soll! Das Private kannst du einfach nicht vom Politischen trennen, auch wenn manche Leute das nicht wahrhaben wollen und es einen sicher belasten kann. Deswegen handeln die Songs auf der Platte sowohl von politischen als auch von persönlichen Dingen.“

Über den geringen Einfluss, den eine Band mit ihren Texten hat, und das allzu leichte Abgleiten in eine dezente Widersprüchlichkeit, ist er sich dabei durchaus im Klaren. Zumal, wenn die Kritik am Mainstream längst selbst ein Teil des Mainstreams ist. „Gesellschaftliche Veränderungen kann Musik garantiert nicht herbeiführen“, so Francis. „Es bringt überhaupt nichts, wenn man nur auf das Konzert einer Band mit sozialkritischen Texten geht, um das Gefühl zu haben, zur Verbesserung der Welt beizutragen. Wichtig ist eher, die Denkanstöße, die einem eine Band vielleicht vermitteln kann, in den Alltag mitzunehmen und in seinem direkten Umfeld etwas zu verändern. Mit FROM AUTUMN TO ASHES wären solche Inhalte zum Beispiel nicht möglich gewesen. Das hätte wahrscheinlich nur aufgesetzt gewirkt.“

Doch so bestimmt und redselig er über dieses Thema parlieren kann, so ratlos wirkt er plötzlich, angesprochen auf Robs Ausstieg aus der Band. „Ich kann nicht genau erklären, warum Rob die Band wirklich verlassen hat“, sagt er schließlich mit zögernder Stimme. „Wenn Geld besonders wichtig für dich ist, dann solltest du heutzutage besser kein Musiker werden. Und mit der Musik, die wir spielen, ist es ohnehin schwerer, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, als etwa mit Chartmusik.“

Was die Zukunft von WARSHIP im Allgemeinen anbelangt, gibt sich Francis daher auch sehr zurückhaltend: „Es fühlt sich zur Zeit sehr komisch an. Ich habe mit Rob die Band gegründet und mit ihm zusammen hart an den Songs für das Album gearbeitet. Jetzt, da er nicht mehr dabei ist, fehlt einfach etwas. Ich weiß nicht einmal, ob man WARSHIP überhaupt noch als richtige Band bezeichnen kann. Es kommt mir eher vor wie ein Typ, der mit ein paar Gastmusikern versucht, das Ganze am Leben zu erhalten.“