Vor 35 Jahren

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DEAD KENNEDYS - Fresh Fruit For Rotten Vegetables (Cherry Red 1980)

"Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ erschien am 2. September 1980 auf Cherry Red Records in England, in Deutschland war das Album als Hafenklang Records-Lizenz erhältlich, gepresst vom Teldec Presswerk, einer AEG-Tochter, die im „Dritten Reich“ besonders erfolgreich war, was Jello sicher nicht gefallen hätte. In den USA erschien das Album zunächst auf Faulty Products und erst später auf auf Alternative Tentacles.

Neben den Alben von SEX PISTOLS („Never Mind The Bollocks“) und UK SUBS („Crash Course“) hat mich das Debütalbum der DEAD KENNEDYS in frühen Teenagerjahren ganz sicher mit am meisten geprägt. Ich ging in Kaiserslautern zur Schule und durch Musikfans aus höheren Klassen, die mir Kassetten aufnahmen oder kopierten, waren mir ein paar Bandnamen geläufig. Um die Ecke gab es auch einen Plattenladen, in dem ich oft meine Zeit vertrödelte. Der Pop Shop war ein Laden mit dem zu der Zeit üblichen Rock-Pop-Sortiment, aber weil selbst in K-town die Punkwelle schon angekommen war und in der Stadt viele amerikanische Soldaten stationiert waren, gab es auch ein kleines Fach mit Wave- und Punk-Platten.

Beim regelmäßigen Durchblättern dieses Fachs, es muss wohl schon 1981 gewesen sein, fiel mir immer wieder diese Platte in die Hände. Vorne brennende Polizeiautos, hinten drauf Tanzkappellenfoto mit DK-Logo auf der Bassdrum – das musste ein Witz sein. Es dauerte, bis ich auch mal reinhören konnte, denn die beiden Anhörplätze waren meistens von Älteren belegt. Man konnte also blind kaufen oder musste Geduld haben. Ich erinnere mich recht genau, dass dieser kreischende, schrille Gesang und das für mein damaliges Empfinden Höllentempo bei den meisten Songs mich sprachlos machten. Dazu kam East Bay Rays furioses Gitarrenspiel, beeinflusst von Surf und Rockabilly, so ganz anders als der übliche Punksound, den ich bis dahin kannte. Diese Platte musste ich haben.

Leider lagen der Teldec-Pressung keinerlei Texte bei, also man musste sich vieles durch Dauerrotation und Zusammenreimen erschließen. Das Langenscheidt-Wörterbuch lag immer beim Plattenspieler zu der Zeit. Doch die Songtitel und allein die mir verständlichen Passagen zeichneten ein düsteres Bild der Zeit des Kalten Krieges. Jello giftet polemisch und satirisch gegen Staat und Gesellschaft, prangert soziale Ungleichheit und politische Missstände an. „Kill the poor“ und „Let’s lynch the landlord“ waren dabei eher zu verstehen als die textlich komplexeren Songs „California über alles“ und „Holiday in Cambodia“, bei denen mir einfach das Hintergrundwissen fehlte, um das Gesamtbild zu verstehen.

Der Schleier hob sich erst etwas später, als ich bei einem Freund ein italienisches Bootleg der Platte fand. Diesem lag das Postercover von Winston Smith bei, mit allen Texten. Smith hatte schon das DK- und AT-Logo gestaltet, er war ein Meister der Collage, und das Faltposter hing fortan neben dem Plattenspieler an der Wand, um es beim nächsten Durchlauf schnell zur Hand zu haben. Jello singt über das sinnlose Wettrüsten und Chemiewaffen („When ya get drafted“, „Chemical warfare“), Armut und soziale Missstände („Kill the poor“, „Let’s lynch the landlord“), Abstumpfung durch Unterhaltung („Drug me“), Verrückte und Psychopathen („I kill children“, „Ill in the head“), Junkies („Forward to death“), Sensationslust („Funland at the beach“) und in „California über alles“ über die Machtgeilheit des kalifornischen Gouverneurs Jerry Brown – ein Song, der auf „ In God We Trust, Inc.“ mit „We’ve got a bigger problem now“ seine Fortsetzung fand und den Aufstieg von Ronald Reagan behandelt. In „Holiday in Cambodia“, dem vielleicht bekanntesten DK-Song, lässt sich Jello vielschichtig über Imperialismus aus, in diesem Fall mit der Besonderheit, dass er neben der offensichtlichen Kritik an maoistischen Studentengruppen in den USA eine pro- nordvietnamesische und somit sowjetische Position einnahm, was eine massive Provokation darstellte. Der Schlusstitel „Viva Las Vegas“ ist eher als parodistischer Klamauk zu sehen.

Ein paar Fakten zum Schluss: 14 Songs in knapp 33 Minuten, Besetzung: Jello Biafra (Gesang), East Bay Ray (Gitarre), Klaus Flouride (Bass), Ted (Schlagzeug), 6025 (Gitarre „Ill in the head“). Produziert von Norm (der Studiokatze ...) und East Bay Ray. Artwork: Jello, Winston Smith und Annie Horwood, das Frontcoverfoto mit den brennenden Polizeiautos stammt von Judith Calson.