Schallplattenläden haben etwas Eigenes, Charaktervolles, Verwirrendes. Der Besuch erinnert ein wenig an den von Spielcasinos, Bars oder Sexshops. Oder den von Spielzeugläden im Kindesalter. Man hat in der bunten Welt rasch das Gefühl, sich zu verlieren oder sogar zu ruinieren. Freud und Leid liegen eng beieinander. Kann man jedoch finanziell vernünftig haushalten, bleibt es unterm Strich ein wahres Vergnügen. Seit 1991 betreibt Henry Voss nun bereits mit seiner Freundin im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg Vopo Records. Der Name setzt sich zusammen aus den Nachnamen der Betreiber und wird doch – nicht ganz zu Unrecht – mit der Abkürzung für die DDR-Volkspolizei assoziiert. Ich traf mich mit einem unausgeschlafenen, aber doch munteren Vossi, um etwas Underground-Musikgeschichte aufzuarbeiten.
Keine 400 Meter von deinem Laden befindet sich die Kreuzung Schönhauser Allee/Eberswalder Straße, die in zahlreichen DDR-Filmen und -Serien vorkam. Hast du besondere Erinnerungen an die DDR-Zeit in Bezug auf diese legendäre Straßenecke?
Da habe ich selber eigentlich nur Erinnerungen als Besucher, da ich ja kein gebürtiger Berliner bin. Ich bin 1989 ja erst hergezogen, war aber seit 1984 regelmäßig in Berlin und dann vor allem in „Prenzlberg“. Da gingen wir in die Schoppenstube oder ins Café Nord, eben in alle Läden, die nachts noch geöffnet hatten. Damals war das für mich eine normale Straßenecke, wie jede andere auch, heute sieht man sie in Filmen ständig.
Zwei Jahre nach dem Mauerfall habt ihr den Laden schon eröffnet, anfangs nur einen Steinwurf weg in der Lychener Straße, aber du scheinst schon gut organisiert gewesen zu sein: Studium, Kredit, Laden ...
Genau, anfangs waren wir in der Lychener 23, das war ein kleinerer Laden. Gut organisiert kann man so nicht sagen, denn wenn du so einen Laden aufmachst, lernst du ja erst. Das ging ja alles „step by step“. Da wurden auch etliche Fehler gemacht. Einen Steuerberater suchen gehörte dazu, den hatte ich ja noch gar nicht. Fünf Jahre haben wir den Laden dann dort betrieben und sind dann 1996 in die Danziger Straße 31 gezogen.
Gehen wir noch ein Jahr zurück. 1995 habt ihr die Split-LP „Ey! die Platte!“ von KIEZGESÖX und SHOCK TROOPS gemacht. Wie kam es dazu und blieb es deine einzige Veröffentlichung?
[Nein, das war nicht das einzige Release. Danach habe ich noch zwei STRIKES-Singles und ein Video produziert, eine Aufzeichnung aus dem Pfefferberg, ich glaube anlässlich von „Sieben Jahre Vopo Records“. Da spielten ZUSAMM-ROTTUNG, KIEZGESÖX, SHOCK TROOPS. Es kam dazu, weil ich immer mit diversen Leuten abgehangen habe, wie Schulz von den BIERPATRIOTEN, jetzt TOXPACK, und Smail, der heute bei ZACK ZACK spielt. Der hatte damals schon ein eigenes Studio, hat da Bands aufgenommen und wollte das veröffentlichen. Ich sagte prinzipiell zu und habe es dann – da ich unerfahren war – mit einem von THE PERC MEETS THE HIDDEN GENTLEMAN gemacht, der war aus Kreuzberg und hieß Emilio Winschetti. Er hatte ein Label, von dem ich einige Sachen gekauft hatte. Der hatte bereits Kontakte zu Presswerken. Dann haben wir mit Fotokopien und so was das Cover gestaltet. Die erste Auflage betrug 1.000 Stück und dann wurden noch mal 500 nachgepresst, aber auch die waren recht schnell ausverkauft. Selbst heute kommen noch Anfragen, vor allem weil es die ja nie auf CD gab.
Smail haben wir erwähnt. Was machen die anderen Musiker der beiden Bands? Sind die noch irgendwie aktiv?
Ja, schon. Die SHOCK TROOPS gibt’s sogar wieder mit demselben Sänger und dem Basser von damals KIEZGESÖX. Die waren ja aus Schwerin, „Rotten“ der Sänger wohnt jetzt in Neubrandenburg. Also es hat sich alles verteilt. Aber man trifft sich noch öfter hier im Kiez.
Mitte der Achtziger kam bei uns im Westen und zeitversetzt bei euch im Osten die Compact Disc auf den Markt. Ihr kanntet ja Vinyl und MCs. Waren CDs für euch überhaupt spannend?
Ja, für mich war sie sehr spannend, weil ich mir im Osten für 4.000 DDR-Mark schon einen Player geholt hatte! Ein Bekannter hat mit Elektrozeugs geschachert und ich war eben fasziniert von dem neuen Medium. Und so habe ich ihn 1987 erworben. Da hatte noch nicht mal die Westverwandtschaft einen CD-Player. So habe ich wirklich alles verkauft, was damals teuer war, um ihn mir zu leisten. Moped, Jeansjacke, Quarzuhr. Deswegen hatte es zur Wende oder zur Eröffnung des Ladens den Reiz schon verloren, ich setzte dann schon wieder verstärkt auf Vinyl.
Es gibt ja zum Glück einiges an Literatur über Punk im Osten, wo das Punkdasein härter war als im Westen. Hast du dennoch den Eindruck, dass man das Heroische daran zu wenig hervorhebt und eher von SLIME als von SCHLEIM-KEIM redet, dass also DDR-Punk vom Westen zu wenig anerkannt wird?
Na, da kann ich mich schon irgendwie gut in die Westler hineinversetzen. Die hatten ja ihr eigenes Ding und konnten alles machen. Für die war der Osten nur eine Randerscheinung. Für uns war natürlich der Westen das ultimative Ding, und wenn man Westradio hörte und den Konzerthinweisen lauschte, dachte man nur: „Scheiße, das wirst du alles niemals sehen.“ Deshalb kann ich es keinem Westler übelnehmen, wenn er sagt, das im Osten hat mich nicht interessiert. Klar waren wir im Osten Repressalien ausgesetzt, mussten uns alles quasi selber basteln. Aber im Westen sollte man nicht denken, dass wir alle nur verbittert im „Grau-in-Grau“ rumsaßen, wir haben schon ordentlich gefeiert, und soviel Spaß wie damals hatte ich auch nie wieder.
Die Prognostiker hatten sich ja mit dem Voraussagen des Endes von Vinyl mächtig geirrt. Wann hast du gemerkt, dass Vinyl doch wieder stärker nachgefragt wird?
Die großen Plattenfirmen haben ja massiv darauf hingearbeitet, Vinyl aussterben zu lassen. Universal und Sony verkauften ihre Restbestände, EMI hat sein Presswerk verkauft und so weiter. Mitte der Neunziger bis etwa 1998 dachte man an den Tod des Vinyls. Aber eigentlich haben die kleinen Labels immer weiter gemacht. Man musste halt als Händler verstärkt in England oder den USA einkaufen, weil es in Deutschland nicht mehr viele Veröffentlichungen gab. Das ist auch der Grund, warum heute so viele Neunziger-Jahre-Scheiben soviel Geld bringen. Nimm mal AC/DC, für die alten Originalpressungen zahlst du 7 bis 8 Euro, aber die aus den Neunzigern, da zahlt man 100 Euro ... Da wurden halt nur ganz kleine Auflagen gemacht.
Ich habe mal geschaut, was Vinyl vor gut zehn Jahren kostete. Da lag die 7“-Single bei 7 DM und die LP bei 20 DM. Heute kostet die Single 7 Euro und die LP 18 Euro.
Ja, bei den Singles fällt es echt extrem auf. Da überlege ich mir bei vielen Releases, ob ich sie überhaupt noch ins Programm nehme. Kleinere deutsche Punk-Singles kann ich noch für 5 Euro anbieten, die gehen immer noch ganz gut, aber bei den Importen zahle ich schon 5 Euro plus Mehrwertsteuer im Einkauf. Also selbst wenn du sie für 7,99 Euro anbietest, hast du im Endeffekt nichts daran verdient. Bei den Singles hat es sich wirklich verschärft. Bei Import-Platten aus den USA hängt der Preis natürlich auch vom Dollarkurs ab.
Wie sieht es überhaupt zur Zeit mit US- und Japan-Importen aus? Sind es die wahren Scheiben für Kenner und Sammler, werden sie noch stark nachgefragt?
Also Japan habe ich eigentlich gar nicht mehr, weil die kein Vinyl machen, das ist für mich deshalb uninteressant. Die machen nur CDs mit Bonustracks. Und das wiederum müssen sie machen, um die hohen Preise in Japan irgendwie zu rechtfertigen. Sonst würde ja jeder japanische Laden die Sachen einfach importieren, zum Beispiel aus den USA. Und die USA und England sind weiterhin interessant, weil da eben noch Platten erscheinen, die es hier nicht gibt. Durch die anderen Pressungen, zum Beispiel mit Klappcover, sind die USA, plattentechnisch gesehen, immer noch wichtig.
Beständigkeit und Disziplin sind sicherlich die Eckpfeiler, um so lange mit einem Plattenladen zu bestehen. Gab es dennoch mal einen Punkt, an dem es für euch so richtig eng wurde?
Nun ja, bis 2007 war da immer eine Konstanz oder sogar eine kleine Steigerung, aber seitdem wird es immer weniger, weil sich in diesem Jahr das schnelle Internet durchgesetzt hatte. Ab da hatte jeder auf einmal einen DSL-Anschluss und dadurch wurde die Download-Geschichte ein echtes Thema. Bis dahin ging es ja nur um das Kopieren von CDs. Da kaufte eben einer die CD und brannte sie einem Freund, das war ja alles noch im Rahmen. Doch dann ging das mit der rechtlichen Grauzone los, wo viele kostenlos Musik gezogen haben. Das war die Zeit, in der ich gemerkt habe: „Hoppla, jetzt bricht die CD langsam weg.“ Das Vinyl ist konstant geblieben, von einem Boom, wie immer erzählt wird, kann nicht die Rede sein. Die CD war immer das zweite Standbein, aber heute stelle ich viele CDs gar nicht mehr in den Laden, gerade so Major-Sachen, die richtig teuer sind. Wenn man im Einkauf inklusive Mehrwertsteuer an die 16 Euro bezahlt und die soll ich dann noch irgendwie verkaufen, so für 17,99 Euro, dann blieben 1,80 Euro über und das geht einfach nicht.
Wie umfangreich ist deine private Sammlung?
Über den Daumen gepeilt sind es vielleicht 2.000 LPs, 1.000 Singles und viele CDs, vor allem Promos und Muster.
Gab es keine Zeiten, in denen du dein bester Kunde warst?
Nein. Ganz zu Anfang ging es nicht, da habe ich jeden Pfennig selber gebraucht. Da habe ich auch alles sofort in die Kasse gelegt, wenn ich mal was mitgenommen habe. Aber es artete nie aus. Der Laden musste also nicht Geld für mich verdienen, um meine Sammelleidenschaft zu befriedigen. Das war alles sehr entspannt bei mir. Ich war eher so der Typ, der gerade nach der Wende auf Flohmärkten oder Plattenbörsen erst mal die ganzen alten Punk-Scheiben nachgekauft hat.
Man sieht dich auch oft als DJ und privat auf Konzerten. Wie häufig kommt das so vor?
Es ist schon mitunter so, dass ich unter der Woche vier- bis fünfmal auf ein Konzert gehe. Die Begeisterung für Live-Shows hat bei mir nie nachgelassen. Ich sehe mir Bands auch gerne zum fünften Mal an.
Du hast alles für und mit der Musik gemacht, aber nie selber musiziert. Findest du es schade, dass es nie dazu kam?
Meine Freundin sagt das ab und an mal, dass es schade ist. Aber ich selbst habe es nie bereut, dass ich kein Instrument gelernt habe. Dafür ist meine DJ-Tätigkeit ein Ausgleich. Es ist ja doch irgendwie ein bisschen vergleichbar, wenn du da vor 500 Leuten stehst. Es ist schon so, als ob du da mit einer Band etwas machst.
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