DIE KASSIERER sind sicherlich nicht die Band, bei der man zuerst an ihren Drummer denkt. Völlig zu Unrecht, denn mit Volker Wendland sitzt seit Beginn der Bandgeschichte im Jahre 1985 ein großartiger Trommler am Schlagzeug, der sie in über drei Jahrzehnten sicher durch alle Live-Auftritte geführt und bei allen acht Studioalben für den nötigen Druck gesorgt hat. Da Volker auch noch ein virtuoser Jazzgitarrist ist, war ein Interview längst überfällig und wir freuen uns, dass es nun endlich geklappt hat.
Volker, gibt es bei dir in der Familie alte Geschichten, dass du schon als kleiner Junge auf den Kochtöpfen deiner Eltern getrommelt hast?
Ich war wohl so elf Jahre, da hat mich die KAPELLE LIDO, insbesondere deren Schlagzeuger, fasziniert. Die haben an Silvester im Hotel Central in Willingen im Sauerland gespielt. Das wollte ich auch und danach habe ich jahrelang auf Pappkartons getrommelt. Ich hatte auch eine kleine Band und der Mann am Schellenbaum war damals Mitch, unser heutiger Bassist.
Hast du musikalische Früherziehung genossen oder haben deine Eltern dafür gesorgt, dass du ein Instrument lernst?
Ich musste früh zum Blockflötenunterricht, aber den habe ich gehasst. Ich habe bald darauf gedrungen, dass meine Eltern mich wieder abgemeldet haben. Ich kam auch aus keiner besonders musikalischen Familie. Bei uns zu Hause hat niemand Musik gemacht und Musik hatte auch kaum einen Stellenwert. Trotzdem war ich, wie gesagt, früh vom Schlagzeuger der KAPELLE LIDO begeistert.
Wie bist du nach der Pappkartonphase zu deinem ersten richtigen Schlagzeug gekommen?
Emmi, meine Großmutter, wollte mir etwas Gutes tun. Sie wusste von meiner Vorliebe für das Trommeln und besorgte mir ein Schlagzeug. Das war rot und hat damals gebraucht 400 DM gekostet. Damals war ich so 13 Jahre alt und weiß es noch wie heute. In unserer Mietwohnung durfte ich nicht darauf spielen, so dass ich Kissen in die Trommeln stecken musste. So entstanden enervierende Plopp-Plopp Geräusche. Meine Mutter war nicht gerade begeistert, zumal ich wirklich viel geübt habe.
Welche Bands haben dich zu dieser Zeit begeistert und wie bist du zum Punk gekommen?
SWEET und SLADE habe ich regelmäßig gehört, aber meine ganz große Liebe waren – und sind es immer noch – die SPARKS. Die kann man sich auch heute noch super bei YouTube ansehen. Ich war früher eher ein Hippie und habe eben Hippie-Musik gehört. Neben SWEET, SLADE und SPARKS liefen bei mir zu Hause auch gerne mal PINK FLOYD. Nichts gegen Punk, aber einmal ein Hippie, immer ein Hippie. Zum Punk gekommen bin ich durch meinen Bruder Wölfi, der mit Niko zusammen in der Szene aktiv war, und irgendwann mussten wir bei einem Auftritt eine Band ersetzen. Da haben wir dann irgendwelche, stellenweise aus unserer Kindheit stammenden Songs gespielt. Mitch war damals auch schon dabei, denn er ist ja beinahe ein Sandkastenfreund von mir. Diese musikalische Mischung, die wir gespielt haben, war so eine Art von Grotesk-Punk. Das ist es ja bis heute noch.
Hast du jemals Unterricht gehabt oder bei wem hast du dir die ersten Rhythmen abgeschaut?
Die ersten Rhythmen hab ich mir vom Drummer der eingangs erwähnten KAPELLE LIDO abgeschaut. In Bochum-Gerthe, wo ich aufwuchs, war ich nach einiger Zeit bekannt für meine ausladenden Schlagzeugsoli. Es hieß immer: Der Wendland, der ist gut. So bin ich dann mit ungefähr 17 Jahren stolz in die Bochumer Musikschule gegangen und habe dort einem wirklich tollen Profidrummer – Joe Bauer, falls den noch irgendjemand kennt – meine Soli vorgespielt. Der sah mich ernst an und meinte nur: „Кraut und Rüben.“ Das war eine ziemliche Ernüchterung für mich. Alles war nur Кraut und Rüben! Aber als ich mich von dem Schock erholt hatte, habe ich echt angefangen zu üben. So richtig mit Noten, Paradiddles, Doppelschlagwirbel und allem, was dazu gehört.
Du hast gerade deinen ersten Auftritt angesprochen. Welche Erinnerungen hast du an deinen ersten Live-Gig?
Es gab viele kleine Live-Auftritte, die rund um unser damaliges Jugendzentrum stattfanden. Das liegt aber alles im Dunkeln. Die erste Erinnerung habe ich an eine Tanzband, bei der ich einen riesigen Mexikanerhut auf hatte und wir „El jarabe tapatio“ spielten. Dafür habe ich 200 DM erhalten. Das, so fand ich damals, war unfassbar viel Geld. Die beiden Hunderter habe ich auch nicht ausgegeben, sondern an meine Zimmerwand gepinnt. Da hingen sie sehr lange.
Hast du mal in einer Schülerband getrommelt oder waren DIE KASSIERER deine erste Band?
Ja, es gab eine Schülerband. Die hieß SMASH. Das war eine lustige Zeit, aber ich weiß leider nicht, wo die anderen Bandmitglieder abgeblieben sind oder ob sie noch leben. Wenn einer von euch das hier liest, meldet euch! Ich habe einen Facebook-Account.
Hast du viel mit Kopfhörern für dich allein geübt oder immer nur mit der Band?
Ich hatte damals so ein Übungsschlagzeug von Remo, auf dem habe ich wie irre herumgeprügelt. Wie besessen. Ich wollte der Billy Cobham von Bochum-Gerthe werden. Dann kam die erwähnte Musikschulepisode und ich habe noch mehr geübt. Vor allem Paradiddles. Das kommt mir heute noch zugute, weil die mir so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Wenn du heute im Studio eine neue Platte einspielst, bist du da gut vorbereitet oder ist noch Platz für spontane Improvisationen?
Meistens gibt es so ein vorproduziertes Ding und häufig hat Niko etwas mit seinem Home-Cubase eingespielt. Ich habe dann schnell im Kopf, was für ein Schlagzeug gut dazu passen würde. Dann, in der Aufnahmesituation selbst, variiere ich die Rhythmen schon manchmal. Wenn dann der erste Take drin ist und er ist weitestgehend okay, bin ich schnell zufrieden. Nur nichts riskieren oder zu viel herumexperimentieren.
Macht dir die Arbeit im Studio Spaß oder willst du eigentlich nur live spielen?
Doch, die Arbeit im Studio macht eigentlich Spaß. Es macht nur keinen Spaß, dass man im Studio immer aufgezeigt bekommt, was von den eigenen Grooves und Breaks richtig sitzt und was wackelt. So eine Aufnahme verzeiht nun mal nichts.
Hast du jemals mit Doublebass und Metal-Rhythmen experimentiert?
Nee, Doublebass war nie meins und ich hatte auch immer so ein gewisses Vorurteil gegen dieses Metal-Zeug. Welch ein Banause ich doch war. Ich bin ja eigentlich Gitarrist, bin an einer Musikschule angestellt und gebe dort Gitarrenunterricht. Einmal hat mir ein Schüler solche Bands wie MESHUGGAH vorgespielt. Oh, mein Güte! Was für eine unglaubliche Virtuosität. Diese Leute sind stellenweise so unfassbar gut an ihren Instrumenten, egal ob Bass, Gitarre oder Drums. Nein, ich verdränge das lieber und solche Ausflüge hat es für mich nie gegeben.
Spielst du als Gitarrist noch in anderen Bands oder bist du mit dem KASSIERER-Job am hinteren Bühnenrand ausgelastet?
Ich möchte sagen, dass ich in mein Dasein als Gitarrist viel mehr Zeit investiere als in mein KASSIERER-Dasein. Ich spiele in mehreren Duos und Trios Gypsy-Jazz und mit meiner Band STRINGTETT bin ich live auch sehr aktiv.
Die Auftritte der KASSIERER wirken ja immer sehr spontan. Musst du dich sehr konzentrieren, damit du in dem Chaos, das sich vor dir abspielt, deine Einsätze nicht verpasst?
Es ist weniger Chaos, als man denkt! Wir haben unsere ausgemachten Einsätze und Endings und wir wissen, was dann manchmal gerne passieren darf und reagieren entsprechend darauf. Wenn sich zum Beispiel jemand auszieht, ist das immer gut.
Gibt es einen bestimmten Volker Wendland-Drumstil und würdest du dich eher als Techniker oder als Arbeiter bezeichnen?
Ob es einen Volker Wendland-Drumstil gibt, das muss die Nachwelt entscheiden. Aber Danke für die Frage. Ich habe versucht, Punk zu spielen, und dabei nicht nur mit Kraft sondern auch mit Technik zu agieren. Darum gibt es bei mir häufiger Paradiddles als Fills zu hören, denn diese Schlagfiguren habe ich immer noch drauf. Diese Basics haben sich aus meiner Billy Cobham-Zeit, damals in den Siebzigern in Bochum-Gerthe, erhalten.
Mit welchem der vielen Alben, die du aufgenommen hast, bist du besonders zufrieden?
Also einmal „Männer, Bomben, Satelliten“, weil es das gelungenste Album ist, was Pointen, Witz und Abwechslung betrifft. „Physik“ gefällt mir auch sehr gut, weil so ein bisschen Geschmacklosigkeit anteilmäßig dem Absurden gewichen ist.
Planen DIE KASSIERER in absehbarer Zeit, ein neues Album aufzunehmen?
Aber ja! Das planen wir schon fast seit zehn Jahren.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #156 Juni/Juli 2021 und Christoph Lampert